Ausblicke
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Empfindens für solche Dinge hier entscheiden. Ein solches Urteil
wird freilich nur schwer für andere zwingend gemacht werden
können, weil es eben vorwiegend gefühlsmäßig gefunden ist. Ich
kann nur versichern, daß ich diesen Eindruck von dem Dornauszieher
schon hatte, als er allgemein für archaisch gehalten wurde und ich
von einem Zweifel daran noch nicht wußte.
Im Thermenmuseum in Rom steht der sogenannte Thron der
Venus mit den Slachbildnereien der beiden Flötenspielerinnen, der
nackten und der bekleideten, und der aus drei Frauen bestehenden
Gruppe, die man als Geburtsvorgang deutet. Die Bostoner Stamm—
lung hat vor einigen Jahren ein der Ludovisischen Thronlehne
nahe verwandtes Stück erworben. Die Zusammengebörigkeit der
beiden, die man als Thronlehnen eines Götterthrons, als Kopf-—
und Fußlehne eines Bettes im Heiligtum der Aphrodite (Petersen),
als Schmalseiten eines großen Altars (Studniczka), gedeutet hat,
steht außer Zweifel. Die Echtheit dieses Bostoner Throns ist be—
zweifelt worden; dieser Zweifel ist nicht, wie Studniczka versucht
Jahrbuch des archäologischen Instituts, 191), einfach durch den
hinweis auf den zweifellos sehr hohen künstlerischen Wert der
Arbeit zu beseitigen. Das hat man auch für die schließlich ja
durch das Zeugnis ihres Verfertigers einwandfrei als unecht er—
wiesene Tiara des Saitaphernes im Couvre angeführt. Und ich
glaube der unleugbar große Reiz, den jene beiden Werke in Rom
und Boston ausüben, beruht darauf, daß wir sie für so früh halten
und mit der entsprechenden Ehrfurcht an sie herantreten, während
sie tatsächlich verhältnismäßig sehr modern empfunden sind, und
uns deshalb leicht seelisch eingehen; wirklich frühe und alte Sachen
sind uns Heutigen zunächst meist herb. Es soll für die Meinung
oon der Unechtheit des Bostoner Throns nicht allzu großer Wert
darauf gelegt werden, daß die Beschädigung des Werks durch die
Unbill der Jahrhunderte so ausgesucht rücksichtsvoll und mit Scho—
nung der wichtigsten Teile sich vollzogen hat; das kann ja Zufall
sein, wenn auch ein sehr merkwürdiger; denn auch beim Cudo—
visischen Stück sind die Verletzungen merkwürdig schonend verteilt.
Aber folgendes wage ich zu behaupten. Sehr alt, frühgriechisch
—A
gehören sie der sogenannten neuattischen Schule, des Pasiteles und
Genossen, an. Die sogenannte esquilinische Venus auf dem Kapitol
steht meines Erachtens den Flachbildern der beiden Thronlehnen
nahe; in der überfeinerten Art, wie sie auf die Sinnlichkeit wirken
will; in der ganzen Behandlung. Streng, in gebundener Werkstatt⸗
überlieferung, wie es früher Arbeit entspräche, sind die Gestalten