Full text: Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit

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Ausblicke 
In der Darstellung des Menschen bedeutet das Streben nach dem 
Schönen vielfach einfach das Streben nach dem sinnlich Reizvollen. 
Der große Stendhal — groß nicht als Dichter, aber als Erforscher 
der Einzelseele und der Völkerseele — schreibt einmal: 
In Frankreich gewährt die breite Masse den Namen des 
Schönen nur dem, was weiblich „ist“ (Rüttenauer, Aphorismen aus 
Stendhal, Bd. J, 5. 88). Damit erfährt freilich das reine Schauen, 
das absichtsfrei sein soll, schon eine Trübung, indem man dabei 
das Dargestellte auf seine Brauchbarkeit für Cebenszwecke und 
selbst unmittelbar für sein Begehren einschätzt. 
Moltke schreibt einmal: Ich liebe mir die Bauten, zu denen 
das Bedürfnis den Riß gezeichnet hat. Wenn man dazu 
noch hinzunimmt, was Moltke jedenfalls, wenn auch vielleicht nur 
gefühlsmäßig, voraussetzt, nämlich daß diese Zweckmäßigkeit oder 
Bedürfnisgemäßheit des Werks dem Beschauer sinnenfällig werden 
nuß (vgl. Hans Cornelius, Elementargesetze der bildenden Kunst) — 
denn die bloße, das heißt nicht von den Sinnen so empfundene 
Zweckmäßigkeit kann für sich allein niemals künstlerisch wirken — 
dann bildet jener Moltkesche Ausspruch eine treffliche Kennzeich⸗ 
nung der neuen deutschen Werkkunst. „Die Abneigung der deutschen 
Baukunst gegen Symmetrie“ (Dehio) gehört auch hierher.114) Da 
Moltke jenen Ausspruch etwa dreiviertel Jahrhundert vor dem 
Entstehen dieser letzteren Bewegung getan hat, darf man wohl in 
dieser Übereinstimmung eine tiefere Auswirkung der gemeinsamen 
deutschen Volksart erkennen. 
Künstlerisches und sittliches Werten haben ein Gemeinsames; 
nämlich: in ihrem Wesen Werturteil zu sein; das heißt: daß sie nicht 
vie die reinen Wissenschaften einen allgemeingültigen und gegebenen 
zusammenhang oder eine gesetzliche Notwendigkeit der Erschei— 
iungen; zu erkennen suchen, sondern daß sie diese nach einem 
eigenen letztlich subjektiven Maßstabe schätzen oder ordnen. 
Georg Dehio schreibt in seiner deutschen Kunstgeschichte, Bd. J, 
5. 187, zu der Tatsache, daß die Mittelmeerwelt zunächst die Dar— 
stellung der Kreuzigung ablehne, während der Norden sie auf— 
nehme, folgendes. „Als Tatsache der Religionsgeschichte ist die 
Parteinahme des jungen germanischen Christentums für das 
Kreuzigungsbild höchlichst der Beachtung wert, wenn wir auch 
bekennen müssen, daß die bisher versuchten Erklärungen aus be— 
ii⸗ Heinr. Bergner, Grundriß der Kunstgeschichte: „Die Abneigung gegen 
Gleichmäßigkeit und Gleichgewicht (Symmetrie), gegen Wiederholung eines Musters 
gegen Schule und Regel überhaupt.“ 4
	        
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