Der Untergang der alten Götter 51
weder der Bibel noch der altkirchlichen Literatur; es ist eine volks—
tümliche, in ihren Wurzeln aus der deutschen Mpthologie
stammende Anschauung.“ Wenn das dem grünen Holze der höchsten
Gelehrsamkeit widerfuhr, wie mag es erst im dürren Bolze des
Volksalaubens ausgesehen haben.
Wenn man aber gar gefragt hat, wie denn die Eddischen Sagen
so weit über CLand und Meer bis in das südliche Deutschland ge—
drungen sein sollten,s) so ging man dabei von der irrigen Meinung
aus, daß die ferne Insel im Eismeer, wohin sich die deutsche Sage
vor den priesterlichen Verfolgern flüchten mußte, auch die Heimat
dieser Sagen sei. Die Mistel, aus der Hödur die Waffe schnitzt,
kommt in Island und schon im nördlichen Schweden nicht mehr vor;
sie ist südlich vom 60. Breitegrad zu Hause. Also muß die Erzählung
von Balders Ermordung durch Hödur eine südlichere Heimat haben;
das heißt hier: eine deutsche Heimat.
Die vorchristliche Überlieferung ist selbst heute noch lebendiger
als man weiß. Dafür werden unten noch Beweise gebracht werden,
von denen nur ein Beispiel hier im Zusammenhange mit den oben
erwähnten Bußbüchern Burchards von Worms noch angeführt sei.
Schon das oben erwähnte Verzeichnis von abergläubischen und heid—
nischen Gebräuchen aus der Zeit der gewaltsamen Sachsenbekehrung
(Indiculus superstitionum et paganiarum) und über 200 Jahre
später Burchhard von Worms schärfen ein, daß es abergläubisch
und daher verboten sei, kleine Nachbildungen von menschlichen
Gliedern, von Tieren usw. zu opfern; in der Hoffnung, dadurch
Heilung von Krankheiten an diesen so abgebildeten Gliedern oder an
diesen Tieren von der Gottheit zu erreichen.
Die Kirche hat also diesen „heidnischen Aberglauben“ von jeher
eifrig bekämpft; aber sie hat bis auf den heutigen Tag damit wenig
Erfolg gehabt. Man besuche nur in katholischen Gegenden eine
beliebige CLandkirche, um zu erkennen, wie lebendig dieser „Aber—
glaube“ noch heute ist (M. Böfler, Uber Votivgaben: in: Volks—
38) Pgl. Heider und Eitelsberger, Mittelalterliche Runstdenkmäler des
Hsterreichischen Kaiserstaats, Bd. 1 5. 200. — Dort wird bekämpft eine von Artur
Martin, Melanges d'archeologie aufgestellte Meinung, daß in einem romanischen
Leuchterfuß des St. Veitsdomes zu Prag dargestellt sei, wie Cyr dem Fenriswolf
seinen Arm in den Rachen steckt, um ihn zu der probeweisen Fesselung gefügig zu
machen. In diesem Falle halte ich, mit dem Berichterstatter, diese Deutung aus der
deutschen Sage nicht für richtig; aber lediglich auf Grund des Denkmalbefundes, der
zu jener Deuütung keinen ausreichenden Anhalt gibt; keineswegs aber aus jenen
allgemeinen Gründen. Vielmehr glaube ich im nächsten Abschnitt zufällig sogar
gerade diesen Gegenstand, wie der Schwertgott durch den Mondwolf einarmig wird,
als Steinbild an einem spätromanischen Kreuzgang nachzuweisen.