70 Der Schwertgott uͤnd der Fenriswolf
Im Leben des Heiligen heißt es: „Das Cand war reich und an—
mutig und zog selbst Wein; das Volk war schlanken und kräftigen
Wuchses, sehr wohlwollend und menschlich, aber der Abgötterei
aoch ergeben, indem man größtenteils aus einem Kelch das Blut
CLhristi und den Opfertrunk genoß.“ Diese Verbindung, an der
Bischof Aribo von Freising in seiner Lebensbeschreibung des heiligen
Emmeran so großen Anstoß nimmt, ist, wie die oben berichtete Sitte
im Chiemgau zeigt, selbst heute noch nicht völlig zerrissen. „Man
sieht, das Volk hatte früher christlichen Unterricht empfangen, war
aber jetzt vernachlässigt und schnell den alten Gebräuchen wieder
zugefallen,“ fügt Sighart a. a. O. hinzu. Dieser Rückfall scheint
besondere Gründe gehabt zu haben. Die Legende erklärt zwar den
Vorwurf, den man dem hl. Emmeran machte, daß er die Herzogs—
tochter verführt habe, für unbegründet. Aber in der ältesten CLebens—
beschreibung des Heiligen wird erzählt, er sei wirklich etwas schwach
im Fleische gewesen. Der hl. Emmeran war Südländer, wahrschein—
lich geborener Jude; vielleicht hat ihm die unbeherrschte Sinnlich-
keit des Südländers doch wirklich bei der Herzogstochter einen
Streich gespielt. Jedenfalls scheint seine Missionstätigkeit durch die
Art und Weise geschädigt worden zu sein, wie er die blonden Frauen
der Baiwaren zu bekehren suchte. „Das Gebaren des Judenchristen
Emmeran machte einen schmerzlichen Eindruck und ist nicht ohne
Nachwirkung geblieben bis zur Stunde,“ schreibt Joh. Nep. Sepp,
Religionsgeschichte von Oberbayern, S. 32. „Das in seiner an—
gestammten sittlichen Haltung und in seinem Stolz verletzte Volk
der Berge ward mit Widerwillen gegen die Neulehrer erfüllt und
wandte sich wieder den alten Göttern zu; es bildete sich ein Geheim—
bund zum Widerstand gegen die fränkischen Sendboten.“ Im Haber—
feldtreiben glaubt man einen letzten Rest jenes Geheimbundes
von damals erblicken zu dürfen, vgl. oben 8. 38.
Der Sohn des Herzogs, der den Sendboten Emmeran erschlagen
hatte, weil er die Sippenehre durch ihn geschändet glaubte, wurde
übrigens der Nachfolge beraubt und verbannt. In den damaligen
wilden Zeiten wurde sonst ein Totschlag, begangen von einem Her—
zogssohn, und in dem Glauben an sein Recht auf Sühne, meist
nicht so schwer gebüßt. Aber der Sohn des Herzogs hatte die Macht
Roms und die Macht Judas zu gleicher Zeit verletzt in dem
römischen Sendboten jüdischen Stammes.
Wenn wir nun in Berchtesgaden eine den Freisinger und
Regensburger Bildnereien nach Zeit und Kunstart nahestehende
Darstellung haben, die zweifellos ihren Gegenstand aus der ger—
nanischen Sage schöpft, so wird damit immerhin diese Deutung auch