Rolandssäule, Irmensul
70
als Heerbann und Gerichtsbann in Erscheinung, bis sie mit der
Weiterspannung der gemeinsam verfolgten Gesittungsaufgaben auch
Wohlfahrtszwecke, Kulturpflege, Erziehung und ähnliches ergreift.
„Da der Krieg als der nur durch Gottesurteil zu entscheidende
Prozeß gedacht wurde, so scheint in Zius Schutz nachmals auch das
öffentliche Recht gestellt gewesen zu sein, da auf seinen Wochentag
die Gerichtstage anberaumt waren“ (E. C. Rochholz, Deutscher Glaube
und Brauch im Spiegel der heidnischen Vorzeit Bd. 2 5. 200).
Dem Mars Thingsus ist ein am Hadrianswall in England ge—
fundener, von deutschen Reitern in römischem Dienst gestifteter Altar
geweiht; hier tritt die von der Rechtspflege hergenommene Bezeich—
nng des Siu gleichgeordnet neben seinen Namen als Kriegsgott.
„Der Kriegsgott Tius war zugleich der Gott des Gerichts“ (Heinr.
Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte Bd. II 5. 416).
Die merkwürdige und reizvolle Gruppe von Denkmälern, die
wir als Rolandsäulen bezeichnen, hat die Geschichtsforscher schon
vielfach beschäftigt; vgl. aus neuerer Zeit Archivrat Georg Sello,2)
der wohl der beste Kenner dieses Denkmälerstoffs ist, und Siegfried
Rietschel. Trotz erheblicher noch bestehender Meinungsverschieden—
heiten darf man doch nun gewisse Dinge als feststehend betrachten:
daß die Rolandsäulen nichts mit dem besonderen Marktrecht zu tun
haben, wie Richard Schröder wollte, wohl aber mit der Ausübung
des Gerichtsbannes; daß sie meist auf der Thing- oder Gerichtsstätte
— OD——
tungsmittelpunkt und deshalb auch vermutlich ihre eigentliche Heimat
) Georg Sello, Der Roland zu Bremen, 1901; Besprechung von Siegfried
Rietschel, Ein neuer Beitrag zur Rolandforschung, Historische Zeitschrift 1889, 8. 457.
Sicher mit Recht lehnt Rietschel Sellos Meinung ab, die Rolandsäulen seien Bilder
der Städtegründer. Schon allein der Umstand spricht dagegen, daß sie über größere
Zeit⸗ und Raumspannen so feststehend von Form und Art sind; das ist nur erklärlich,
wenn sie Sinnbilder von allgemeiner Bedeutung sind; nicht aber, wenn sie an be—
stimmte geschichtliche Ereignisse und sogar an bestimmie Menschen erinnern sollen.
8) Von dem Prenzlauer Roland, der 1496 erneuert, im achtzehnten Jahrhundert
durch einen Sturmwind zerstört und leider nicht mehr wiederhergesiellt wurde, heißt es,
was hier nur als ein Beispiel unter vielen angeführt sei: „In der unmittelbaren
Nähe des Standbildes befand sich wie in vielen Städten, so auch hier, das Hoch⸗
zericht, auf Grund wovon ihm die Bedeutung eines Gerichtszeichens beigelegt wurde;
ogl. Mitteilungen des Uckermärkischen Museums⸗ und Geschichtsvereins, 1902. —
Prenzlau, die freundliche Hauptstadt der fruchtbaren Uckermark, sollte ihren Voland,
dessen Reste noch vorhanden sind, einmal wiederherstellen. Freilich, dringlicher noch
wäre es, die Schmach zu beseitigen, daß in ihrer wundervollen Marienkirche, einem
Aleinod deutscher Baukunst, die Cafel der Gefallenen des Weltkriegs, die neben
anderen, sehr würdigen und schönen Chrentafeln von 1813 und 1870/71 dort hängt,
nur die Worte trägtkt: Im Weltkrieg fielen; ohne ein Wort der Ehrung, ohne
ein Wort von KNönig und Vaterland; weil die Kirchenverwaltung, die allein das
hJausrecht hat in der Kirche, sich vor den roten Stadträten fürchtele, den gefallenen
Helden eine Ehrung zu erweisen. Ein schauerliches Denkmal unserer Schande.