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Rolandssäule, Irmensul
herrscht das senkrechte Streben schlechthin den Eindruck. Und den
gewaltigen Turmaufbauten gehört ja ohne Zweifel die besondere
Liebe und Kraft der deutschen Baumeister schon in der vorgotischen
Zeit der Baukunst; man denke an die großen Dome aus der Seit der
Salier und Sachsen mit ihren sechs Türmen. In Frankreich, obwohl
dort die baufachliche Grundlage der neuen Bauart, nämlich die
Wölbung auf länglichem, nicht gleichseitig-sviereckigem Grundriß, zu—
erst geübt wurde, blieben die hohen Turmaufbauten, die an sich und
dem Plane nach aus dem neuen Baugedanken erwuchsen, meist
stecken. Bei den Germanen Vordfrankreichs war durch den Verlust
ihrer Sprache und die sonstige Mischung mit den verrömerten Kelten
Galliens jene nordische Neigung zur hochgetürmten Sonnensäule
geschwächt, die sich im reiner germanischen Deutschland durchsetzte.
Nirgendwo anders ist die Säule mit einem Bilde darauf so ver—
breitet als Brunnenzier wie in Deutschland. Auch hier mag eine
uralte Vorstellung unbewußt weiterwirken. Daß überhaupt der Wasser—
stelle so viel Liebe bezeugt und daß so viel Schmuck für sie aufge—
wendet wird, hängt sicher mit der uralten Verehrung der Deutschen
für die Quellen zusammen, die noch die Bußbücher Burchards von
Worms ums Jahr 1000 bekämpfen, die sich übrigens noch heute in
katholischen Gegenden Deutschlands in aufgehängten Weihegaben
und anderem rührend äußert. Deutschland hat die schönsten und zahl⸗
reichsten Brunnendenkmäler in den Ländern nördlich der Alpen. Wie
kam man dazu, gerade eine hohe Säule als Fuß zu wählen für diese
Helden, Heiligen, Meerweibchen, wie es meist der Fall ist. Ihre
Senkrechte widerspricht eher der notwendig gegebenen Wagrechten
des Wasserbeckens. Die welsch gedachten Brunnen, wie 3. B. die
Salzburger, schaffen eine breite Wasserfläche.
Im Dorfe Questenberg in der Grafschaft Stolberg⸗-Roßla wird
das Questefest zur Erinnerung an die glückliche Errettung eines
Kindes gefeiert: „man hängt am sogenannten dritten Pfingstfeier⸗
tage Kränze und Sträuße feierlich auf an einem geschälten Eichen—
stamm, der zuvor auf dem steilen felsigen Questenberg mühsam auf—
gerichtet ist . . . man ist in der Tat berechtigt, bei dem aufgerichteten
Baume an die Irminsäulen zu denken, zumal auch ein Arminsberg
in der Nähe liegt, und das Dorf Questenberg eine Rolandsäule,
das Zeichen höchster Gerichtsbarkeit, besitzt“ (Otto Richter, Bilder
aus dem westlichen Mitteldeutschland, S. 455).
Die Vorliebe der Deutschen, irgend welche Darstellung auf eine
Säule zu stellen, tritt auch in den Bildstöcken hervor. Es liegt doch an
sich gar kein Grund vor, eine in halberhabener Flachbildnerei ge⸗