Full text: Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit

Die Lindwurmkämpfer der Heldensage 
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Die Tübinger Stiftskirche auf dem östlichen Gipfel der Spitz— 
berggruppe ist dem heiligen Georg geweiht. Man hatte wohl be— 
sondere Ursache, den ritterlichen Georg hierher zu setzen, „nachdem 
man nach Beendigung der Kreuzzüge in einem heiligen Drachen— 
besieger die geeignete Persönlichkeit gefunden hatte, um damit das 
Andenken der nationalen Drachenbezwinger, der Donar, Beowulf, 
Siegfried“ — und Dieterich fügen wir hinzu — „in den nordischen 
Cändern auszulöschen“ (Ernst Krause Karus Sterne], Trojaburgen 
Nordeuropas s. 2). „Der Kampf gegen den Wurm der Finsternis, 
der die Sonne und die Wärme gefangen hält, und die Befreiung der 
Sonne, der Maikönigin, ist das uralte, dramatische Frühlingsfestspiel 
aus vorchristlicher Zeit. Wir dürfen wohl annehmen, daß der 
Drachenkampf und nicht die Passion das Urschauspiel der Germanen 
und ihrer Nachbarvölker gewesen ist, aus denen sich nicht allein die 
Anfänge der dramatischen Runst, sondern auch die Ritterspiele, 
Schwerttänze und größeren Festreigen entwickelt haben“ (Krause 
ebenda). „Noch im Jahre 1878 suchten die Priester die Feier des 
Drachenstichs zu Furth i. W. zu verhindern, weil der Ritter nicht 
Georg und die Befreite nicht Margarete heiße, als ob Held Sieg— 
fried neben dem syrischen CLichtkämpfer nicht ebenbürtig dastünde“ 
(J. N. Sepp, Die Religion der alten Deutschen und ihr Fortbestand 
5. 77). „Noch deutlicher tritt die symbolische Bedeutung dieser Kämpfe 
hervor,*4) wenn man die vielfachen Drachensagen — die merkwür— 
digerweise gerade in solchen Gegenden am häufigsten vorkommen, 
wo man die Überreste jener Rieseneidechse gefunden hat — im ein— 
zelnen näher betrachtet. Gewöhnlich ist es ein alter verfallener 
Heidentemnel, in dem der Drache haust, um alle, die sich ihm nähern, 
zu erwürgen.“ 68) 
Beides trifft, nebenbei bemerkt, auf unsere alemannische Gegend 
am Neckar zu. Der Wurmlinger Berg, in dem der Drache haust, war 
aller Wahrscheinlichkeit nach eine Stätte vorchristlicher Götterver— 
ehrung und Versteinerungen von Riesenechsen werden nicht allzuweit 
davon gefunden. 
Die uralte Natursage vom Kampf gegen den Wurm der Finster— 
nis hängt sich dann an bekannte Träger: sie sucht neue Belebung 
69) Beinrich Alt, Die Heiligenbilder oder die bildende Kunst und die theolo⸗ 
gische Wissenschaft, 5. 84. 
6) W. Schäfer, Versuch einer Deutung der Reliefs am Portale der Kirche zu 
Großen⸗Linden, Hessen; Archiv für hessische Geschichte und Altertum, Bd. IIl, 1844: 
„Vornehmlich ist Hessen das Land“ (P), „wo sogar die Sage vom Lindwurm durch die 
Geognosie eine Art historischer Basis erhielt, indem man in Hessen und auch in dem 
benachbarten und stammverwandten Thüringen in Kalksteinformationen die ante— 
diluvianische Rieseneidechse vorfand.“
	        
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