Full text: Geist und Antlitz der Renaissance

Die beiden großen Reformatoren Wiclef in England und Huß in Böhmen waren zwar 
gescheitert, aber ihre Anhänger waren keineswegs zum Schweigen gebracht. Der Auf—- 
stand der Anhänger Wiclefs, der 1413 begann, und die Hussitenkriege (141936) geben 
davon ein beredtes Zeugnis. Die Kirche hatte in den Reformkonzilen den Versuch gemacht, 
Aenderungen herbeizuführen. Die große Kirchenversammlung in Konstanz 1414418 
und das Konzil zu Basel 1431-49 endigten mit Konkordaten, die aber auch nur eine 
vorübergehende Lösung bringen konnten. 
In der gleichen Zeit hatte die katholische Kirche in England und Frankreich durch Festi— 
zung der Nationalstaaten ungeheuer an Terrain verloren, weil die starken Zentral- 
regierungen sich nicht mehr zu den gleichen Zuͤgeständnissen an den Papst wie früher 
bereitfanden. Auch in Spanien und Zgtalien lagen die Verhältnisse ähnlich. 
Die römische Kurie unternahm deshalb den Bersuch, den Ausfall ihrer Einnahmen in 
diesen Ländern durch erhöhte Inanspruchnahme der Opferwilligkeit in Deutschland 
wieder auszugleichen. Die Ueberbeanspruchung hatte aber eine starke Auflehnung des 
Volkes gegen die Kirche zur Folge. Gegen eine dieser kirchlichen Maßnahmen, die Aus— 
wüchse des Ablaßhandels, hatte sich Luther gewandt, als er am 31. Oktober 18517 seine 
fünfundneunzig Thesen an die Schloßkirche zu 
Wittenberg schlug. Ourch die Aufforderung zum 
Widerruf wurde er veranlaßt, die Konsequenzen 
aus seinem Tun zu ziehen. So griff er Grund- 
probleme an und hat mit der Reformation 
Erschütterungen verursacht, die sich noch bis 
heute auswirken. Martin Luther ist zum Ex— 
ponenten des ganzen Zeitalters geworden. 
Es sollen hier nicht die Beziehungen zwischen 
den verschiedenen Problemen erörtert werden, 
nur die Gleichzeitigkeit der Erscheinungen und 
ihr nicht wegzuleugnender Zusammenhang 
—DDD 
Ereignisse zu verstehen. Die öffentliche Meinung 
pielte damals in Deutschland bereits eine Rolle, 
da nach Erfindung der Buchdruckerkunst durch 
Johann Gutenberg auch die Ausbreitung der 
Bildung von Fahr zu Jahr in einem bis dahin 
ungeahnten Maße zugenommen hatte. Um 
1500 verbreiteten mehr als tausend Oruckereien 
die auf weltlicher Bildung und dem Studium 
der Antike fußenden Schriften des Humanismus; in der gleichen Weise ist Martin 
Luther in kürzester Zeit in Deutschland populär geworden. 
Die Kritik an den Einrichtungen der Kirche und dem Verhalten der Geistlichkeit gewann 
Martin Luther 
Holzschnitt nach Lukas Cranach
	        
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