Vorrede
kan niemals zu viel geruͤhmet werden: Denn sie ist eine Kunst, durch
welche man Mathemathische Wahrheiten von sich selbst erfinden kan.
Einige Zeilen weiter aber: „Mit einem Worte, sie machet euch geschickt,
„daß wenn ihr nur gantz was geringes gus denen Mathemathischen
Wissenschafften gelernet, ihr von euch selbst ein mehreres erfinden koͤn⸗
net/ zu der Zeit / wenn ihr es vomnoͤthen habet. Es ist aber keine voll⸗
kommenere Art zu studiren, als wenn man nur ein weniges lernen
darff, und sich darbey doch auf alle vorkommende Faͤlle geschickt macht.
Ich sage aber noch mehr. Ihr treffet in der Algebra die allervollkom⸗
menste Manier zu raisoniren an. Denn sie stellet die Begriffe derer Sa⸗
chen durch Zeichen vor, und verwandelt die Schluͤsse, welche mit vie⸗
„len Bedacht aus ihnen her geleitet werden, in eine leichte Manier die
Zeichen miteinander zu verknuͤpffen, und voneinander zu trennen. Da⸗
durch erhaͤlt man offters in einer Zeile mehr, als man in grossen Buͤ⸗
chern nicht Baum siden wuͤrde. Durch das Anschauen weniger zZei⸗
„chen werdet ihr oͤffters verstaͤndiger, als ihr durch vieler Jahr Arbeit
„nach der gemeinen Art zu lernen und zu dencken nicht werden koͤnnet.
In dieser Absicht pfleget man die Algebra den Gipfel menschlicher Wis—⸗
„senschafften zu nennen, und dieses von Rechts wegen.
Soll man nun nicht vielmehr diejenigen hoch achten, die sich die Muͤhe
nicht haben verdruͤssen lassen, und in ihren Schrifften lehrbegierigen Gemuͤthern
an einer grossen Menge Exempel zeigen, und Muster der Rachahmung an die
Hand geben, auf was vor Art, in was fuͤr Faͤllen, und mit was fuͤr grossen
Vortheilen sich die allgemeine Buchstaben Rechen Kunst, zumal auch in mechani-
schen Wissenschafften und Kuͤnsten gebrauchen laͤsset? Wer will es einem solchen
Schrifftsteller verargen, wenn er etwan zugleich auch dadurch suchet, die an und
vor sich schon unschaͤtzbare Algebram, bey denen Kuͤnstlern Bau⸗ und Werckmei—
stern, derer Gelehrten hier nicht zu gedencken, in Hochachtung zu bringen?
Wodurch kan die Kunst, mit rechter Hardietle und doch dauerhafft zu bauen, mehr
in die Hoͤhe gebracht werden, als durch die Reguln, die zugleich von der Mechanic
und Algebra herstammen? Sind nicht allezeit diejenigen von alten Zeiten her
grosse Baumeister und Kuͤnstler gewesen, die die Rechen-Kunst und Mechanic
wohl verstanden? Wuͤrckflich noch groͤssere Baumeister und geschickte Kuͤnstler muͤs⸗
sen diejenigen werden, die die Algebram als die aligemeine Rechen Kunst in allen
moͤglichen Faͤllen mit der Mechanic aufs genaueste zu verknuͤpffen, Fleiß anwen—
den. Die Kunst, mit dem Gewaͤsser allenthalben geschickt umzuͤgchen, solches
nach denen wahren Grund⸗Gesetzen so in Bewegung zu bringen, daß es uns die—
sen oder jenen Nutzen nach rechtem Maaß und Gebuͤhr verschaͤffe, ist eine von
denenjenigen, in welcher sich noch vieles erfinden und verbessern laͤsset, das der
menschlichen Gesellschafft vortreffliche Dienste thun fkan. Wer aber in derfelben
sehr weit zu kommen glaubet, ohne sich dabey um die allgemeine Rechen⸗Kunft zu
bekuͤmmern, betruͤgt sich gewißlich sehyr. Nun lassen sich aber durch die Gruͤnde
der Algebra, alle Schwuͤrigkeiten in Maaß⸗ und Rechnungs-Sachen gar bequem⸗
lich heben, so muͤssen sie nothwendig auch denenjenigen viele Vortheile zuwege
bringen, die sie gelernet haben. Und diesen stehet dann auch in Wahrheit Thur
und Thor zu denen verborgensten Kuͤnsten offen, diesen wird das Vergnuͤgen zu
Theil, daß sie in wichtigen Umstaͤnden wahre Reguln angeben koͤnnen, wo viele
andere „die dieses zu leisten unvermoͤgend sind, gestehen muͤssen, daß sie sich in
solchen Faͤllen nicht zu helffen und zu rathen wissen.
Es scheinet allem Vermuthen nach allerdings, daß der Herr Belidor alle
vor angefuͤhrte, als auch andere Ursachen mehr, wohl mag erwogen, und sich
deshalben auch entschlossen haben, sein gantzes Werck durch algebraische Rech⸗
nungen auszufuͤhren. Es wird ihm zugleich aͤuch nur allzu wohl dewußt gewesen
seyn, daß er durch diese Ahhandlungs Art, fast alle Gunft und Gewogenheit bey
denenjenigen verschertzen wuͤrde, die von der mit so vielen vortrefflichen Vortheilen
verknuͤpf⸗
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