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Berzelius die Grundlage der vergleichenden Affinitätslehre gelegt,
und die leicht verständliche und scharfe Systematik, welche die
Theorie ermöglichte, hat das Studium der Chemie außerordentlich ge-
fördert. Sie ist auch nicht durch Aufdeckung des Irrtums über den
elektrolytischen Vorgang zu Falle gebracht worden, sondern dadurch,
daß ihre Nichtanwendbarkeit für ein Gebiet von Verbindungen zutage
trat, welche zur Zeit ihrer Entwicklung noch unbekannt waren. Es
sind das die nicht elektrolysierbaren organischen Verbindungen.
Die Isomerie, Eine Bezugnahme auf die gegenseitige Stellung der
Atome in der Molekel wurde erforderlich, als Tatsachen bekannt wur-
den, welche sich auf dem Boden der Atomtheorie nicht anders erklären
ließen, als durch verschiedene Atomlagerung. Es sind das die Ver-
hältnisse der Isomerie.
Als Wöhler 1823 die Cyansäure, und Liebig 1824 die Knall-
säure analysierte, ergab sich, daß beide Forscher für ihre unzweifelhaft
verschiedenen Stoffe die gleiche Zusammensetzung gefunden hatten.
Berzelius, welcher in seinen Jahresberichten diese Arbeiten zusammen-
stellte, erwog verschiedene Vermutungen, auf welche Weise der eine
oder der andere Forscher in einen Irrtum gefallen sein könne, denn
daß zwei derart verschiedene Stoffe eine gleiche Zusammensetzung
haben könnten, erschien so unwahrscheinlich, daß die Möglichkeit
gar nicht in Frage kam.
Indessen fand schon im folgenden Jahre Faraday bei Gelegenheit
der Untersuchung von Kohlenwasserstoffen, welche sich in Zylindern
angesammelt hatten, in denen Leuchtgas komprimiert wurde, neben
dem Benzol ein Gas (das Butylen), welchem die gleiche elementare
Zusammensetzung, wenn auch doppelt so große Dichte im Dampf-
zustande zukam wie dem längstbekannten ölbildenden Gase (Äthylen).
Berzelius befreundete sich allmählich mit der Vorstellung, daß in
der Tat gleich zusammengesetzte Stoffe verschiedene Eigenschaften
haben könnten, und erinnerte seinerseits an die beiden verschieden
sich verhaltenden Zinnoxyde. Fast jedes Jahr brachte man neue Stoffe
von ungleichen Eigenschaften bei gleicher Zusammensetzung, bis
schließlich 1830 die von Kestner in Thann (Elsaß) aufgefundene
Traubensäure sich mit der gewöhnlichen Weinsäure in jeder Be-
ziehung gleich zusammengesetzt erwies, während sie doch in ihren Lös-
lichkeitsverhältnissen, in der Kristallform ihrer Salze, ihren Reaktionen
von dieser unzweideutig verschieden war.
Berzelius führte daher die Erkenntnis, daß gleich zusammengesetzte
Stoffe verschiedene Figenschaften haben können, in den Besitzstand
der Wissenschaft über, indem er der Erscheinung den Namen Isomerie
gab. Hierbei unterschied er bald verschiedene Fälle; für solche Ver-
bindungen, wie Faradays Kohlenwasserstoffe, die dieselben Elemente
in denselben Verhältnissen, aber gemäß ihrer verschiedenen Gasdichte
nach einer verschiedenen (multiplen) Anzahl Atome enthalten. führte
Stöchiometrie