Die chemische Konstitution
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er den Namen polymer ein, während er solche gleich zusammen-
gesetzte Stoffe, in denen auch die Anzahl der Atome gleich, nur ihre
„Anordnung“ verschieden ist, metamer nannte. Diese sehr zweck-
mäßigen Bezeichnungen sind bis heute im Gebrauch geblieben.
Die Tatsache der Isomerie ist von allergrößter Bedeutung für die
theoretische Gestaltung der Chemie geworden, denn aus ihr ging her-
vor, daß auf die Eigenschaften eines zusammengesetzten Stoffes nicht
nur die Natur und das Verhältnis der zusammensetzenden Elemente
von entscheidendem Einfluß sind, sondern außerdem etwas anderes,
was Berzelius zunächst hypothetisch darauf zurückführte, daß diese
Atome „auf verschiedene Weise zusammengelegt“ seien. Dieser Ge-
sichtspunkt wurde in der ganzen kommenden Entwicklung des Isomerie-
begriffs festgehalten und gelangte zunächst durch die Annahme ver-
schiedener „Radikale“ in den Verbindungen zur Geltung. Allerdings
geschah die Annahme derselben nicht zur Erklärung der Isomerie-
erscheinungen, sondern ganz andere Tatsachen veranlaßten diese Ent-
wicklung der elektrochemischen Lehre; wohl aber konnten manche
Isomeriefälle durch die Verschiedenheit der Radikale erklärt werden.
Die Radikaltheorie. Durch die großartige Arbeit von Liebig und
Wöhler über das Benzoyl (1832) war eine Anzahl von Stoffen be-
kannt geworden, welche alle denselben Komplex (C,H,O). enthielten
und aus demselben Ausgangsstoff entstanden waren. Dem unveränder-
lichen Anteil wurde eine besondere Rolle innerhalb der Verbindungen
zugeschrieben; man dachte sich seine Atome durch stärkere Kräfte
zusammengehalten, als die waren, welche die wechselnden Bestandteile
fesselten. Das war die Radikaltheorie; jene beständigeren Gruppen
spielten in den zusammengesetzteren Stoffen dieselbe Rolle, wie die
Elemente in den einfacheren, ja Liebig sprach wiederholt aus, die
Radikale seien die wahren Elemente der organischen Chemie. Durch
die heldenmütigen Forschungen Bunsens über das Kakodyl und
Franklands vermeinte Isolierung des Äthyls wurden so viel Momente
zugunsten der Radikaltheorie herbeigeschafft, daß sie allgemein als
einzig richtige Form der Auffassung und Darstellung der Natur chemi-
scher Verbindungen angesehen werden durfte.
Die Unklarheit in der Radikaltheorie darüber, welcher Art die engere
oder stärkere Bindung der Atome innerhalb des Radikals sei, und in-
wiefern sich diese von der Art der Verbindung der Radikale unter
sich oder mit anderen Atomen unterscheidet, wurde nicht empfunden,
weil zu jener Zeit die Probleme der chemischen Verwandtschaft, über-
haupt nicht in Frage kamen. Ja, späterhin nahmen einzelne Forscher
nach dem Vorgange von Berzelius sogar ausdrücklich eine beson-
dere Art der Bindung, verschieden von der gewöhnlichen, an, welche
als „Paarung“ von dieser unterschieden wurde.
Die Substitutionstheorie. Während die Radikaltheorie aus der
elektrochemischen erwachsen war. und die Grundvorstellungen der-