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Stöchiometrie
Strukturformeln haben sich doch nicht dauernd als ausreichend gezeigt,
alle neuentdeckten Isomerieverhältnisse darzustellen, und sind daher in
einem Sinne erweitert worden, der als eine sachgemäße Weiterentwick-
‚ung des Prinzips bezeichnet werden muß. Nachdem schon früher
Wislicenus darauf hingewiesen hatte,.daß gewisse Isomerieerschei-
nungen bei den Milchsäuren nicht mehr ausreichend durch die in der
Ebene des Papiers geschriebenen Strukturformeln dargestellt werden
können, hat van ’t Hoff (1877) den ersten Versuch durchgeführt,
eine Ausgestaltung der Strukturtheorie auf den Raum zu bewerk-
stelligen. Er nahm insbesondere an, daß die vier Valenzen des
Kohlenstoffs in den vier Ecken eines regulären Tetra@&ders angeordnet
seien, und entwickelte die daraus entspringenden Konsequenzen. Eine
der wichtigsten davon ist die, daß ein mit vier verschiedenen Radikalen
verbundenes Kohlenstoffatom asymmetrisch sein muß, d.h. daß es in
zwei verschiedenen Formen auftreten kann, die nicht überdeckbar,
sondern spiegelbildlich symmetrisch sind. Die gute Übereinstimmung
der optischen Konsequenzen dieses Schlusses mit den tatsächlichen
Verhältnissen wird bald dargelegt werden.
Ein zweiter Schluß, der insbesondere von Wislicenus in mannig-
faltigster Weise zu der Erklärung und auch Auffindung neuer Isomerie-
verhältnisse benutzt worden ist, bestand in der Erkenntnis, daß ein
Fig. 20
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doppelt gebundenes Paar. von Kohlenstoffatomen, das mit irgend welchen
anderen Gruppen verbunden ist, vermöge der räumlichen Anordnung
je zwei Isomere von gleicher Struktur geben muß. Der Gedanke wird
am einfachsten aus der beistehenden Figur klar, welche die Isomerie
von Maleinsäure (Fig. 30) und Fumarsäure (Fig. 31) darstellt.
Auch dieser Gedanke hat sich als ungemein fruchtbar erwiesen, in-
dem er nicht nur den Chemikern, die bis dahin diesen mit der Struk-
turtheorie nicht vereinbar gewesenen Isomeriefällen mit einer gewissen
Scheu aus dem Wege gegangen waren, den Mut gab, sie genauer zu
erforschen, sondern auch sich als ein zweckmäßiger Führer in ver-
wickelteren Verhältnissen erwies. Für die weitere Ausgestaltung der
Grundgedanken sind insbesondere die Forschungen E. Fischers über
die Zuckerarten zu nennen, wo die sehr verwickelten und mannio-