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Die chemische Konstitution
231
Die Wahl der Verbindungsgewichte. Durch die Analyse geeig-
neter Verbindungen der Elemente ergeben sich deren Verbindungs-
gewichte nicht eindeutig. Denn es werden dadurch zwar die Zahlen
festgestellt, nach welchen sich die Elemente vereinigen können; aber
außer diesen Zahlen treten noch die durch das Gesetz der multiplen
Proportionen bedingten rationalen Faktoren auf, und über deren
Festsetzung ergeben die stöchiometrischen Grundgesetze keine Auskunft.
Wenn alle Elemente sich untereinander nur in einem Verhältnis
vereinigten, so könnte man diesen Zweifel dadurch vermeiden, daß
man als Verbindungsgewichte eben die Werte wählte, die diese Ver-
hältnisse ausdrücken; dann würde jede Verbindung immer je ein Ver-
bindungsgewicht der darin vorhandenen Elemente enthalten. Dies ist
aber nicht der Fall; vielmehr besagt das Gesetz der multiplen Pro-
portionen, daß diese Verhältnisse verschieden sein können, und die
Erfahrung lehrt, daß sie es in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle
auch sind.
Es liegt hier somit noch eine Unbestimmtheit vor, und die Lehre
von den Verbindungsgewichten ist in der Lage, noch weitere Be-
ziehungen suchen zu müssen, um die hier vorhandene unerwünschte
Freiheit so einzuschränken, daß eine eindeutige Bestimmung der „rich-
tigen“, d. h. der zweckmäßigsten Verbindungsgewichte möglich wird,
Die mit dem Gesetz der Verbindungsgewichte in unmittelbarer Be-
ziehung stehende Atomhypothese hat dieses weitere Bestimmungsstück
nicht liefern können. Zwar verlangt sie auch, daß unter den mög-
lichen Verbindungsgewichten nur eines das Atomgewicht sein könne;
sie gibt aber kein unabhängiges Kriterium für die Bestimmung dieses
Wertes an die Hand.
Ein erster Versuch zur Gewinnung der Entscheidung wurde von
Berzelius auf Grund des Gesetzes von Gay-Lussac über die Be-
ziehungen zwischen Gasdichte und Verbindungsgewicht gemacht. Sind
die Dichten der gasförmigen Elemente den Verbindungsgewichten oder
einfachen rationalen Multiplen derselben proportional, so hat man die
Möglichkeit, beide unmittelbar proportional zu setzen, und so eine ein-
deutige Wahl zu treffen. In der Tat stellte Berzelius zuerst dies
Prinzip auf.
Er mußte es indessen bald aufgeben. Denn wenn auch die Ele-
mente sich auf diese Weise betrachten ließen, so war es bei ihren
Verbindungen nicht mehr möglich, außer man verletzte den Grund-
satz, daß das Verbindungsgewicht des zusammengesetzten Stoffes gleich
der Summe der Verbindungsgewichte der Elemente sein müsse. Die
hier auftretenden Schwierigkeiten sind bereits (S. 177) dargelegt worden.
Sie haben sich durch die Entwicklung eines diesen Verhältnissen ange-
paßten neuen Begriffs, des Molekulargewichts, heben lassen, doch
gehört diese Entwicklung erst einer späteren Zeit an.
Berzelius. der um jene Zeit der führende Forscher auf diesem