Die chemische Konstitution
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doch gibt es Änderungen, welche die Aktivität vernichten. Es ist dar-
aus zu schließen, daß das Drehvermögen an einem bestimmten Kom-
plex in diesen Verbindungen haftet, und ein Hilfsmittel zur Erkennung
eines solchen Komplexes liegt in dem Auftreten, ‘bzw. Verschwinden
des Drehvermögens.
Das unsymmetrische Kohlenstoffatom. Als allgemeines Kenn-
zeichen aktiver Komplexe wiesen gleichzeitig (1874) van’t Hoff und
Le Bel das Vorhandensein eines „asymmetrischen Kohlenstoffatoms“,
d. h. eines mit vier verschiedenen Elementen oder Radikalen verbun-
denen Kohlenstoffatoms nach.
Zur Durchführung des Satzes, daß optisches Drehvermögen und
asymmetrischer Kohlenstoff miteinander in kausalem Verhältnis stehen,
war ein zweifacher Beweis zu führen.
Ist nämlich das asymmetrische Kohlenstoffatom die Ursache der
optischen Drehung, so muß einerseits jeder drehende Stoff ein solches
besitzen, andererseits jede ein asymmetrisches Kohlenstoffatom besitzende
Verbindung sich als optisch aktiv erweisen.
Von diesen beiden Schlüssen ließ sich der erste verhältnismäßig leicht
bewahrheiten. Bis auf wenige zweifelhafte Fälle, die bald zugunsten
der Theorie Erledigung fanden, waren in allen als aktiv bekannten
Stoffen entweder aus rein chemischen Gründen bereits solche Konsti-
tutionsverhältnisse angenommen worden, oder sie konnten ohne Wider-
spruch mit anderen Tatsachen angenommen werden. Nach dieser Seite
konnte also die Theorie als zutreffend bezeichnet werden.
Nach der anderen Seite sah es scheinbar weniger günstig aus, denn
es waren sehr viele Stoffe bekannt, in denen nach ihren chemischen
Verhältnissen asymmetrische Kohlenstoffatome angenommen werden
mußten, während sie kein Drehvermögen aufwiesen.
Hier tritt nun die von Pasteur entdeckte Symmetriebeziehung als
Erklärungsgrund und gleichzeitig als neues Postulat ein. Man muß in
allen diesen Fällen annehmen, daß eine inaktive Verbindung mit asym-
metrischem Kohlenstoff die racemische Form ist, und steht daher in
jedem solchen Falle vor der Aufgabe, eine derartige Verbindung in
ihre aktiven Bestandteile zu spalten. Die dahin gerichtete Forschung
hat ergeben, daß in der Tat in sehr vielen Fällen die Spaltung aus-
führbar ist, und daß somit auch nach dieser Richtung die Theorie Be-
stätigung findet.
Die Methoden der Spaltung beruhen auf zwei verschiedenen Tat-
sachen. Zwar sind alle Verbindungen symmetrischer aktiver Stoffe mit
inaktiven Bestandteilen in ihren Eigenschaften völlig übereinstimmend,
nicht aber solche mit zweitem aktivem Bestandteil. Übereinstimmend
sind demgemäß zwar alle Salze der rechten und der linken Weinsäure,
die Metalle an Stelle des Wasserstoffs enthalten; stellt man aber Salze
optisch aktiver Alkaloide her, so sind die Eigenschaften des rechten
Salzes von denen des linken nicht nur optisch. sondern auch bezüg-