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STÖCHIOMETRIE
und.zwar die dem Natrium analogen Ionen Kationen, die dem Chlor
analogen Anionen.
Gegen die Annahme dieser Bestandteile kann man das Bedenken geltend
machen, daß sie nie für sich dargestellt worden sind, und ihre Existenz
daher hypothetisch ist. Die Antwort ist einerseits, daß die elektrischen
Eigenschaften, welche diese Bestandteile oder Ionen erfahrungsmäßig zeigen,
mit Notwendigkeit die Unmöglichkeit ergeben, sie einzeln in solcher Menge
anzuhäufen, daß sie für sich untersucht werden können; vielmehr können
sie wegen dieser Eigenschaften immer nur so beobachtet werden, daß che-
misch äquivalente Mengen Anionen und Kationen, gleichgültig in welcher
Zusammenstellung, in einer gegebenen Lösung gleichzeitig anwesend sind,
Andererseits aber kann man antworten, daß die Existenz dieser Ionen
dadurch gesichert ist, daß sie besondere Eigenschaften aufweisen, als deren
Summe die Eigenschaften der Salzlösungen erscheinen. Am deutlichsten
werden die Verhältnisse aus den Tatsachen, die der analytischen Chemie
zugrunde liegen, Hier gibt es kaum Reaktionen auf einzelne Salze, sondern
fast nur Reaktionen auf Ionen. Bariumchlorid ist z. B. kein Reagens
auf Natriumsulfat oder Schwefelsäure, sondern eines auf das Ion SO, denn
alle beliebigen Salze, in denen dieses vorkommt, geben mit Bariumchlorid
einen Niederschlag. Ebenso ist Schwefelsäure, oder vielmehr irgendein das
Ion SO, enthaltendes Salz ein Reagens auf das Ion Ba, denn jedes Barium-
salz gibt mit Schwefelsäure oder einem beliebigen anderen Sulfat den Nieder-
schlag. Diese Beispiele ließen sich ins Unbegrenzte vermehren.!)
Wir werden daher in der Folge die Salzlösungen als binäre Gemische
ihrer Ionen betrachten. Eine große Zahl späterer Erörterungen wird zeigen,
daß außer den Tatsachen, die sich um den osmotischen Druck und die daraus
bestimmten Molargewichte, um die physikalischen Eigenschaften und um
die analytischen Reaktionen gruppieren lassen, auch die elektrotechnischen
Verhältnisse und die chemischen Gleichgewichte der Salzlösungen nicht
nur die gleiche Auffassung gestatten, sondern sie als die einzig durchführ-
bare fordern.
NEUNTES KAPITEL
Die chemische Konstitution
A lgemeines. Daß die tiefstgreifende Veränderung der Stoffe, die wir
kennen, die chemische, keinen Einfluß auf das Gewicht und die Masse
der beteiligten Körper hat, ist die Grundlage der entsprechenden Er-
haltungsgesetze (S. ırff.). Diese haben ihre große Bedeutung dadurch,
daß sie für jeden beliebigen Vorgang eine Gleichung aufzu-
stellen erlauben, durch welche der Wert eines unbekannten
Gliedes bestimmt werden kann, wenn die Werte der anderen
*) Ausführliches hierüber findet sich in des Verfassers Wissenschaftlichen Grundlagen
der analytischen Chemie, 6. Aufl. (Leipzig 1910).