DIE CHEMISCHE KONSTITUTION 219
erkennen. Ein Versuch, den er in der Aufstellung seiner Theorie der che-
mischen Typen machte, schlug indessen fehl.
Erst spätere Forschungen, wie die Williamsons.über die Äther, Hof-
manns und Würtz’ über die organischen Ammoniake befähigten Gerhardt
und Laurent, dieselbe Idee in brauchbarer Gestalt zur Geltung zu bringen.
Nach ihnen leiten sich sämtliche Verbindungen von den Typen:
- H H H u DE
asserstoff G) Chlorwasserstoff G Wasser Hy O und Ammoniak HN
H
ab, indem der Wasserstoff derselben durch andere Elemente oder Radikale
ersetzt wird. Von diesen wurden später } und eG} als übereinstimmend
erkannt. Zu diesen Formeln fügte später Williamson das der verdoppelten
oder verdreifachten kondensierten Typen, und Kekule führte die zu-
sammengesetzten Typen ein, indem er zwei oder mehr verschiedene
Typen vereinigte. Bei diesen letzteren Versuchen, die Schemata mit den
Tatsachen in Einklang zu bringen, kam bereits ein später wichtig gewor-
denes Moment zur Geltung. Damit in den kondensierten und gemischten
ITypen die beiden Gruppen zusammengehalten wurden, mußte ein Atom
oder Radikal vorhanden sein, welches zwei Wasserstoffatome ersetzen
konnte, und welches das Bindeglied abgab, indem es in jeder Gruppe ein
Wasserstoffatom vertrat. Hier trat der Begriff des mehratomigen Radi-
kals oder Elements als Bedingung für den Zusammenhang der Molekel zu-
erst auf.
Die Klassifizierung der chemischen Verbindungen nach Typen war von
großem Nutzen für die Wissenschaft, denn sie gestattete eine bequeme
Übersicht einer großen Zahl von Stoffen und gab Anhaltspunkte zur Dar-
stellung neuer. Eine umfassende Theorie der chemischen Verbindungen war
sie dagegen infolge ihres formalen Charakters nicht. Gerhardt, ihr eigent-
licher Begründer, war sich auch ganz klar darüber; er betonte immer wieder,
daß seine Formeln nur als Reaktions-, nicht als Konstitutionsformeln aufzu-
fassen seien. Auch erwies sich die Typenlehre bald als unzulänglich. dem
Fortschritt der Wissenschaft zu folgen.
Das typische System war keineswegs allgemein angenommen, da sich die
wichtigsten Vertreter der Radikaltheorie, welche das Substitutionsgesetz
anerkannten und mit seiner Hilfe die älteren Anschauungen erweiterten,
von demselben fern hielten. Insbesondere Frankland und Kolbe such-
ten zu einem Verständnis der chemischen Verbindungen auf einem anderen
Wege zu gelangen, welcher der Natur der Elemente und den Analogien mit
anorganischen Verbindungen besser Rechnung trug. So war Kolbe im-
stande, die Existenz von Isomerien da vorauszusagen, wo im typischen
System nur für einen Stoff Platz war, bei den Alkoholen. Und nicht nur
die Existenz, auch das Verhalten dieser Stoffe wurde von Kolbe progno-
stiziert; wenige Jahre darauf entdeckte Friedel den sekundären Propyl-
alkohol und bestätigte Kolbes Prognose.
So hatte wiederum ein Isomeriefall die Notwendigkeit tieferen Eingehens