DIE CHEMISCHE KONSTITUTION I 223
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Erstere, zu denen Salze mit Kristallwasser, Doppelsalze, von einigen aber
auch Chlorammonium und alle anderen Ammoniaksalze gerechnet werden,
sollen den Zusammenhang ihrer Atome nicht den zwischen Atom und Atom
wirkenden Kräften, welche die Valenz bedingen, verdanken, sondern die
Molekeln, aus welchen diese Verbindungen entstehen, sollen als Ganzes
wechselseitige Kräfte aufeinander ausüben, durch welche der fragliche Zu-
sammenhang bewirkt wird.
Man hat die Molekularverbindungen erst der Lehre von der konstanten
Valenz zuliebe von den Atomverbindungen unterschieden. Schon dies kann
gegen sie mißtrauisch machen. Dazu kommt aber, daß trotz aller Mühen
ein anderer Unterschied zwischen beiden Klassen nicht hat gefunden werden
können, als daß die eine bestimmten Annahmen über konstante Valenz ent-
spricht, die andere dagegen nicht. Im übrigen gehen die Eigenschaften der
einen vollkommen stetig in die der anderen über, indem man überall einen
stufenweisen. Abstieg geringster Zersetzlichkeit zu größter an entsprechenden
Verbindungen nachweisen kann. Gegenwärtig deutet man sie meist mit
Hilfe der S. 222 erwähnten ‚‚,Nebenvalenzen‘‘.
Das Gebiet der Molekularverbindungen ist in neuerer Zeit insbesondere
von A. Werner mittels des Begriffes der ‚,‚Koordinationszahl‘, eines
dem Valenzbegriff gegenüber verallgemeinerten Schemas der Verbindungs-
typen, bearbeitet worden. Hierauf kann an dieser Stelle nur verwiesen
werden.
Die Stereochemie. Die in der vorbeschriebenen Weise entwickelten Struk-
turformeln. haben sich doch nicht dauernd als ausreichend gezeigt, alle neu-
entdeckten Isomerieverhältnisse darzustellen, und sind daher in einem Sinne
erweitert worden, der als eine sachgemäße Weiterentwicklung ‚des Prinzips
bezeichnet werden muß. Nachdem schon früher Wislicenus darauf hin-
gewiesen hatte, daß gewisse Isomerieerscheinungen bei den Milchsäuren
nicht mehr ausreichend durch die in der Ebene des Papiers geschriebenen
Strukturformeln dargestellt werden können, hat van’t Hoff. (1877) den
ersten Versuch durchgeführt, eine Ausgestaltung der Strukturtheorie auf
den Raum zu bewerkstelligen. Er nahm insbesondere an, daß die vier
Valenzen des Kohlenstoffs in den vier Ecken eines regulären Tetra@ders
angeordnet seien, und entwickelte die daraus entspringenden Konsequenzen.
Eine der wichtigsten davon ist die, daß ein mit vier verschiedenen Radikalen
verbundenes Kohlenstoffatom asymmetrisch, sein muß, d. h. daß es in zwei
verschiedenen Formen auftreten kann, die nicht überdeckbar, sondern
spiegelbildlich symmetrisch sind. Die gute Übereinstimmung der optischen
Konsequenzen dieses Schlusses mit den tatsächlichen Verhältnissen wird bald
dargelegt werden.
Ein zweiter Schluß, der insbesondere von Wislicenus in mannigfaltigster
Weise zu der Erklärung und auch Auffindung neuer Isomerieverhältnisse ‘
benutzt worden ist, bestand in der Erkenntnis, daß ein doppelt gebundenes ;
Paar von Kohlenstoffatomen, das mit irgendwelchen anderen Gruppen ver-
bunden ist, vermöge der räumlichen Anordnung je zwei Isomere von gleicher