236 0°
STÖCH IOMETRIE
mit den aus chemischen Gründen abgeleiteten, so daß sich das Verfahren
allseitig bewährte. Zu bemerken ist noch, daß, wenn eine Neigung zu
doppelten Molargewichten vorliegt, wie sie sich bei vielen Hydroxyl ent-
aaltenden Verbindungen findet, dieselbe in Benzollösung viel leichter und
ausgiebiger zur Geltung kommt, als wenn der Stoff in Wasser, Essigsäure
oder Phenol aufgelöst wird.
Die S. 190 u. ff. gegebenen theoretischen Betrachtungen führen also über-
einstimmend mit der Erfahrung zu dem Schlusse von der Gleichartigkeit
der an Gasen und Lösungen bestimmten Molargewichte.
Durch die Entdeckung des kolligativen Charakters der erwähnten Eigen-
schaften von Lösungen hat die Möglichkeit der Molargewichtsbestimmung,
welche früher auf flüchtige Stoffe beschränkt war, eine enorme Erweite-
rung erfahren, indem sie gegenwärtig auf alle löslichen Stoffe sich aus-
dehnen 1äßt, d. h. auf fast alle Stoffe, die dem Chemiker überhaupt unter
die Hand kommen. Es ist einleuchtend, wie sehr durch diese Möglichkeit
die Erforschung unbekannter Stoffe gefördert wird; ist von einem neuen
Stoff das Molargewicht bekannt, so wird das Gebiet der. Möglichkeiten für
seine Konstitution sofort außerordentlich eingeschränkt und eine Ent-
scheidung wesentlich erleichtert.
Mit der Dampfdruck- und der Gefrierpunktsmethode sind die Möglich-
keiten der Molargewichtsbestimmungen an Lösungen keineswegs erschöpft,
da sich außerdem noch eine große Anzahl verschiedener Wege erdenken
und praktisch ausführen läßt, um die Konzentration einer Lösung um-
kehrbar zu ändern. Indessen liegt ein praktisches Bedürfnis nach der Aus-
arbeitung weiterer Methoden kaum vor, und die erwähnten Beziehungen
dienen vielmehr dazu, mit Hilfe der als bekannt vorausgesetzten Molar-
zewichte andere Gesetzmäßigkeiten zahlenmäßig zu berechnen.
Flüssige Stoffe. Was die kolligativen Eigenschaften bei reinen flüs-
sigen Stoffen anlangt, so ist eine solche in dem Temperaturkoeffizienten
der molaren Oberflächenenergie gefunden worden (S. 185). Die Er-
gebnisse dieses Verfahrens stimmen im wesentlichen mit den an Dämpfen
and Lösungen gefundenen überein. Man darf darauf die Vermutung grün-
den, daß zwischen beiden Methoden ein prinzipieller Zusammenhang be-
steht. Ein solcher ist denn auch in jüngster Zeit (1908) von van der Waals
entwickelt worden.
Eine weitere kolligative Eigenschaft ist durch die sogenannte Trouton-
sche Regel für die Verdampfungswärme gegeben. Ist nämlich T die ab-
solute Temperatur des Siedepunktes der betreffenden Flüssigkeit und W
die molare Dampfwärme, so gilt W = AT, wo A eine von der Natur der
Stoffe unabhängige Konstante ist. Ihr Wert beträgt für Atmosphärendruck
in runder Zahl 20 cal oder 83:7 j, die man auf 84 j abrunden kann, so daß
die Formel lautet: W = 84T).
Die Gleichung gilt nur für den Vergleich der Verdampfungswärmen bei
Atmosphärendruck, und man muß sich hüten, sie als eine allgemeine Formel
anzusehen. Ihre Ungültigkeit für alle Temperaturen geht schon daraus her-