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Klasse von Stoffen betrachtete, haben die Untersuchungen in neuerer Zeit
ergeben, daß es sich nicht um Unterschiede von Stoffen, sondern um solche
von Zuständen handelt, in welche alle chemischen Stoffe gebracht werden
können. Und zwar ist dieser Zustand der einer sehr feinen Verteilung oder
einer sehr großen spezifischen Oberfläche. Der von Graham als stoff-
lich aufgefaßte Unterschied beschränkt sich darauf, daß gewisse Stoffe
leichter, andere schwieriger in diesen Zustand gebracht werden können. Daß
insbesondere nicht jedesmal, wenn sich eine zweite Phase innerhalb einer
Flüssigkeit (oder eines Gases) bildet, diese im kolloiden Zustande erscheint,
liegt an den S, 522 dargelegten Gründen und ferner daran, daß die Aus-
flockung disperser Phasen durch die Anwesenheit von Salzen aller Art in
den entsprechenden Lösungen außerordentlich befördert wird. Wenn bei den
Niederschlagsreaktionen Salze beteiligt sind, so bestehen meist von vorn-
herein die Bedingungen nicht, unter denen der Niederschlag alsbald im dis-
persen Zustande auftreten kann. Stellt man solche Bedingungen her, so
erhält man auch die Stoffe im kolloiden Zustande.
Das bekannteste Beispiel hierfür ist das Arsentrisulfid, das man aus
einer wässerigen Lösung von arseniger Säure durch Zusatz von Schwefel-
wasserstoff fällt. Da hier kein Salz zugegen ist, erhält man auch alsbald
eine ‚„„kolloide Lösung‘, d.h. ein flüssiges Gemenge, in welchem das Arsen-
trisulfid als zweite Phase äußerst fein zerteilt vorhanden ist. Ein weiteres
Beispiel bietet die elektrische Zerstäubung der Metalle (Bredig 1898).
Diese werden durch den elektrischen Strom vermöge lokaler Erhitzung ver-
dampft, und die augenblickliche Kondensation des Dampfes durch die um-
gebende Flüssigkeit läßt das Metall alsbald im kolloiden Zustande auftreten,
welcher wegen der Abwesenheit fällender Salze mehr oder weniger beständig ist.
Ebenso gehen hierfür geeignete Stoffe, die durch Salze ausgefloackt waren,
in den kolloiden Zustand über, wenn man diese Salze durch Auswaschen
entfernt. Hierauf beruht das ‚,‚Durchgehen‘‘ vieler analytischer Niederschläge
durch das Filter, nachdem die Auswaschung den größten Teil der Salze
beseitigt hat. Man verhindert es erfahrungsgemäß dadurch, daß man statt
mit reinem Wasser mit einer geeigneten Salzlösung auswäscht, d. h. dadurch,
daß man den ausgeflockten Zustand aufrechterhält.
Während einige Stoffe sich durch reines Wasser leicht wiederholt in den
kolloiden Zustand versetzen lassen, behalten andere auch nach dem Aus-
waschen ihre Beschaffenheit als unlösliche und grobe Niederschläge bei. Dies
beruht wesentlich auf der Geschwindigkeit, mit welcher sie aus dem
hochdispersen Zustande in den größerer Körner, bzw. Kristalle übergehen.
Je kleiner diese Geschwindigkeit ist, um so länger besteht die Möglichkeit
der Überführung in den kolloiden Zustand. Indem man diese zeitliche Grenze
einigermaßen willkürlich auf einige Tage oder Wochen ansetzt, hat man
umkehrbare Kolloide von nichtumkehrbaren unterschieden, indem man
unter ersteren solche versteht, die auch nach der Ausflockung sich wieder in
den kolloiden Zustand zurückversetzen lassen. Tatsächlich handelt es sich
auch hier wieder um Zustände und Vorgänge, die je nach den Umständen
' KOLLOIDCHEMIE