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DIE CHEMISCHE VERWANDTSCHAFT
den wir der Einfachheit wegen als vollständig voraussetzen, so ist die
Reaktionsgeschwindigkeit proportional dem Produkt (A)*.-(B)°.(C)° ..., wo
die eingeklammerten Buchstaben die Konzentrationen der angegebenen
Stoffe und die kleinen Buchstaben ihre Molarkoeffizienten bedeuten. Setzt
sich nun eine Reaktion aus mehreren Stufen zusammen, so gilt für die Ge-
schwindigkeit einer jeden Stufe ein Ausdruck, der aus der Formel. dieses
Einzelvorganges hergeleitet ist, und die Formel für den Gesamtvorgang
spielt für die Gleichung der Reaktionsgeschwindigkeit überhaupt keine
Rolle.
Hierdurch wird allerdings die Frage zunächst sehr verwickelt. Glücklicher-
weise kommen sehr oft Fälle vor, in denen die meisten Stufenreaktionen sehr
schnell erfolgen, und nur eine von ihnen langsam. Diese ist es dann, welche
den ganzen zeitlichen Charakter des Vorganges bestimmt, und von ihrer
chemischen Gleichung hängt auch die Gleichung für die gesamte Reaktions-
geschwindigkeit ab. Man darf annehmen, daß die langsame Reaktion der
ersten Stufe des Gesamtvorganges entspricht, denn ist die erste Stufe ein
geschwinder Prozeß, so findet man sein Produkt alsbald als Reaktionsprodukt
vor, daß man durch Abscheidung weiteren möglichen Umwandlungen ent-
zieht.
Um nun in einem solchen Falle die kinetische Analyse des Vorganges aus-
zuführen, benutzt man das Verfahren der Isolierung der Reaktions-
faktoren (Ostwald 1896). Indem man nämlich die Reaktion so ausführt,
daß alle Konzentrationen bis auf eine verhältnismäßig groß genommen
werden, scheidet man deren Einfluß auf den Verlauf aus (da sie sich ja durch
den Vorgang nur sehr wenig ändern), und behält ausschließlich den Einfluß
des in geringer Menge anwesenden Stoffes übrig. So nimmt man z. B. in
obiger Reaktion A in kleiner, B und C in großer Menge. Hierdurch kann man
die beiden letzteren Konzentrationen konstant setzen, und die Reaktions-
geschwindigkeit ist nur ncch proportional (A)*, wodurch man die Ordnung der
Reaktion für den Stoff A allein bestimmen kann. Ebenso verfährt man mit
B und C und erhält so die linke Seite der wahren Reaktionsgleichung mit ihren
richtigen Molarkoeffizienten. Wenn auch dadurch noch nicht eindeutig be-
stimmt ist, wie sich die rechte Seite gestaltet, so sind doch im allgemeinen so
bestimmte Anhaltspunkte gewonnen, daß die Entscheidung der Frage sehr
erleichtert wird.
Um die Bedeutung dieses Verfahrens zu kennzeichnen, sei erwähnt, daß
bei der katalytischen Beeinflussung der Oxydation des Jodions durch Wasser-
stoffperoxyd mittels Molybdänsäure die Reaktionsordnung am Wasser-
stoffperoxyd sich beim Zusatz der Molybdänsäure ändert, wodurch das für
die Theorie der Katalyse wichtige Ergebnis gewonnen wurde, daß wenigstens
in diesem Falle eine Zwischenreaktion zwischen beiden vorhanden ist (Bredig
und Brode 1901).