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DIE STOFFE
Sauerstoff, Stickstoff, Stickoxyd, Kohlenoxyd und Leuchtgas gaben hin-
gegen kein Anzeichen von Verflüssigung zu erkennen.
Nachdem inzwischen entdeckt worden war (s. w. u.), daß möglichst niedrige
Temperaturen für die Verflüssigung wesentlich sind, war auch der Weg
gezeigt, die noch widerstehenden Gase zu verflüssigen. Pictet (1877) er-
zeugte sehr niedrige Temperaturen, indem er flüssiges Kohlendioxyd durch
flüssiges Schwefeldioxyd, welches im leeren Raume siedete, stark vorkühlte,
und dann seinerseits im Vakuum zum Verdampfen brachte. Sauerstoff,
welcher in einer dickwandigen schmiedeeisernen Retorte durch Erhitzung
von Kaliumchlorat erzeugt und durch eigenen Druck auf einige hundert
Atmosphären zusammengepreßt wurde, ging bei der so erhaltenen Tempe-
ratur (— 140°) in den flüssigen Zustand über.
Cailletet verflüssigte gleichzeitig (1877) die ‚‚permanenten‘‘. Gase, in-
dem er zur Abkühlung derselben den Arbeitsverbrauch benutzte, welchen
sie bei plötzlicher Ausdehnung beanspruchen. Für Luft ergibt sich bei ver-
schiedenen Anfangsdrucken folgende Tabelle der Abkühlungen, wenn man
voraussetzt, daß die Anfangstemperatur o°® und der schließliche Druck
I Atmosnhäre ist.
Druck in Atmosphären
100
200
300
400
500
Temperatur
absolut Zentesimalgrade
201°5°
‚x 0
45
---450
nd. bh
Es sind also sehr tiefe Temperaturen, welche sich bei etwas stärkeren An-
fangsdrucken berechnen. Allerdings. werden dieselben nie ganz erreicht,
da alsbald die Gasmenge, die wegen der hohen Drucke nur klein genommen
werden kann, durch die Wände erwärmt wird. Die Verflüssigung macht
3ich unter diesen Umständen nur als Nebel geltend, welcher im Augen-
blick der Druckaufhebung entsteht, und in wenigen Augenblicken ver-
schwindet.
In neuerer Zeit ist durch Linde und durch Hampson (1895) ein Ver-
fahren erfunden worden, um atmosphärische Luft durch einen stetigen
Vorgang in den flüssigen Zustand zu versetzen und beliebige Mengen davon
herzustellen. Es beruht auf der Erscheinung, daß vermöge des unvollkom-
menen Gaszustandes bei der Ausdehnung der Luft auch ohne Arbeitsleistung
(z. B. durch ein Drosselventil) eine Abkühlung erfolgt. Diese ist zwar zu-
nächst klein; man benutzt sie aber, um die weiter hinzutretenden Luftmengen
vorzukühlen, wodurch deren Temperatur beim Durchgang durch das Ventil
noch tiefer sinkt. Die Abkühlung steigert sich auf diese Weise mit jedem
weiteren Durchgange der Luft und wird nach einiger Zeit so bedeutend,
daß sich die Luft verflüssigt. Eine Beförderung erfährt der Vorgang dadurch,
daß die Abweichung von den Gasgesetzen, und damit die Abkühlung beim