Full text: Fachbildung, Fachtüchtigkeit und jugendliche Lebensweise

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direktor und Verwalter der preussischen Seehandlung war selbstverständlich 
nicht die Person, sich in studentische Feudalitäten zu verirren oder auch nur 
in entfernt Ähnliches zu verlieren. Seine Briefe aus der Studentenzeit, 
sowie auch die in den leider anonym erschienenen „Lebensnachrichten“ zer- 
streuten biographischen Notizen zeigen das Gegenteil, erstere um so reich- 
licher und deutlicher, als sie viel, ja mehr als billig Selbstspiegelung ent- 
halten. Der künftige Kritiker der römischen Urgeschichte ist schon früh 
eine Art Muster von sich isolierendem Studenten. So berichtet er seinen 
Eltern nach kaum einmonatigem Aufenthalte in Kiel, dass er sich freiwillig 
von Gesellschaften fernhalte, um nicht die Abende und Frühstunden und vor 
allen Dingen nicht den ruhigen Geist zu verlieren. Der achtzehnjährige 
Student begründet einige Monate später seine Zurückgezogenheit mit der Not- 
wendigkeit, Zeitökonomie zu treiben. „Es ist doch ausgemacht“, schreibt er, 
„dass man auf der Universität ist, nicht so vergnügt zu leben als man kann, 
sondern so nützlich, als es in unseren Kräften steht.“ Seine Eltern möchten 
es ihm ja glauben, dass man bei vielem Umgang nicht so glücklich sei, als 
er im Gefühl seiner wohl angewandten Einsamkeit; bei seinem strengeren 
Leben, das er sich auferlege, mögen sich zwar seine Sitten verhärten, aber 
er verschlechtere sich dabei gewiss nicht; er habe nur die Wahl, sich den 
Sitten unserer schlechten, weichlichen, kraftlosen Zeit anzu- 
passen, oder sich an seine eigenen Sitten zu halten. Auf die erste 
Weise könne man vielleicht einem grossen Teil der Zeitgenossen gefallen, 
aber gewiss nicht den Besseren, nicht sich selbst, nicht der Nachwelt; auf 
die zweite verstosse man gegen die Billiger der ersten, aber man lebe, um 
sich seinen eigenen Beifall zu verdienen und vergehe nicht mit der grossen 
Schar namenloser Zeitgenossen. 
Einem solchen ernsten Streben nach Ehre und Anerkennung liegt 
wahrlich nichts ferner als studentische Extravaganzen. Bei Niebuhr kann 
man sicher sein, dass er dem ganzen sogenannten burschikosen Treiben völlig 
fremd, unbeteiligt, ja antipathisch gegenüberstand. 
In seinem ungestümen Drange nach Erfolg konnte er sich selbst nie- 
mals genugthun. Selbstanklagen gehörten in seinen Briefen nicht zu den 
Seltenheiten, und bei der ungewöhnlichen Reife seines Verstandes konnte es 
ihm schon in Jungen Jahren nicht entgehen, dass aller Erfolg doch schliess- 
lich vom Selbststudium abhänge. Er findet deshalb auch die universitäre 
Lehrart vielfach nicht zweckmässig und bedauert gradezu, durch die Gesetze 
an die Universität gebunden zu sein. „Wie beneide ich“, schreibt er aus 
Kiel den Eltern, „die Schweizer, die lernen, was sie lernen, und das ist nicht 
weniges, in ihrer Vaterstadt. ....... Das erste Gesetz, was ich machen 
möchte, wäre, dass jeder junge Mensch, der im zwanzigsten Jahre eine streng 
zu prüfende Abhandlung eingäbe (nach meinem Plan, eine selbst ausge- 
arbeitete Darstellung einiger Wissenschaften), vom akademischen Zwange 
befreit werden sollte. Für die übrigen würde ich klösterlichen Zwang an- 
ordnen. Das würde zum Fleiss ermuntern und vom Universitätsleben ab- 
schrecken.“  
Man sieht aus all’ diesen Äusserungen, dass, wenn Niebuhr irgendwo 
Fehler gemacht hat, dies nicht in der Richtung auf studentische Ausschrei- 
tungen, sondern eher in einem Sichverlieren auf Dinge geschehen ist, die dem 
Durchschnitt Studierender gleichgültig sind und bleiben müssen. Niebuhr 
klagt in nicht wenigen Briefen über seinen ungeordneten Geist, den eine 
planlose Erziehung verschulde und den er, dem Beispiel Humes folgend, ge- 
legentlich einmal durch längere Einsamkeit wieder in das richtige Geleis
	        
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