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echter Berühmtheiten auf den Markt gelangt, ist nur zu oft euphemistisch
gefärbt. Trotz dieser äusseren Schwierigkeiten hat sich die Thatsache, dass
höchste Leistungen, sei es auf wissenschaftlichem oder auf praktischem Ge-
biet, von Männern einfachster Lebensart und fester Charakterhaltung aus-
gegangen sind, in entscheidenden Fällen bestätigt gefunden. Im besondern Mass
hat Eugen Dühring, wie ich teilweise schon in meiner Schrift: „Eugen
Dühring, Etwas von dessen Charakter, Leistungen und reformatorischem Be-
ruf“ (1898, Leipzig) gezeigt, diese Überzeugung in seiner gesamten Kritik
vertreten und dabei auch durch sein eignes Beispiel illustriert. Namentlich
liefern seine kritischen Geschichtswerke neben ihren reichen wissenschaftlichen
Ergebnissen auch Belege in grosser Zahl für die Wahrheit, dass Verstand
ohne Charakter zu nichts wahrhaft Grossem fähig macht.
Talente, denen es an festem Charakter fehlt, giebt es häufig genug;
sie tragen zuweilen als vermeintliche Genies, in Wahrheit aber als deren
Karikatur, eine Art Lebensunordnung noch gar zur Schau und bemühen sich
eifrig, einen recht greifbaren Gegensatz zum sogenannten Philister herauszu—
künsteln. Diesen affektierten Genies gegenüber, deren hohle Eitelkeit sich
gewöhnlich nur da ergeht, wo das echte Genie aufhört, ist die Erinnerung
am Platze, dass der Lebensführung auch des grössten Geistesheroen neben
manchen anderen Eigenschaften Ordnung, äusserlich wie innerlich, als ein
Hauptmerkmal angehört. Der Ordnung in der Lebensweise entspricht ge-
meinhin auch Ordnung in den Geschäften, und wären es auch Geschäfte von
hohem und sich daher allzu leicht emancipiert dünkendem Range. Be-
deutende Intelligenz in gewissen Richtungen bietet für mangelnden Ord-
nungssinn keinen Ersatz und wiegt meist auch die sonstigen Fehler in Bezug
auf Charaktergediegenheit nicht auf. Man lasse sich also durch „geniale“
Allüren, die über die sogenannten Kleinigkeiten des Lebens als „Kleinlich-
keiten“ spöttelnd hinweggehen, nicht täuschen oder gar imponieren und zu
der Ansicht verleiten, es liege im Wesen grosser Naturen, möglichst unge-
gunden und wüst durch’s Leben zu gehen. Was hier allzu ungebundene, um
nicht zu sagen, phantastische Ausschreitungen verschulden können, das hat
das Beispiel des alten Bonaparte gezeigt. Dieser hat vermöge gewisser
Eigenschaften ein Stück Welt erobert, aber vermittelst anderer extravaganter
Eigenschaften wieder verloren. Er hat Frankreich zwar berühmt gemacht,
aber auch wieder in seine alten Grenzen zurückweichen lassen müssen. Ja
sein Geschlecht hat es mit analogen, wenn auch schwächlichen Nachahmungen
und verwandten Fehlern dahin gebracht, dass Frankreich sogar noch buch-
stäblich eingebüsst hat und schwächer dasteht als zuvor. Gewiss waren
ursprünglich Fähigkeiten vorhanden, aber gleichsam doppelschlächtige, einige
intellektuelle Vorzüge und zugesellte Charakternachteile, beides sichtlich aus
derselben Wurzel, so dass man sagen kann, der alte Bonaparte habe die
Kleinheit schon in der Grösse selbst, die Unzulänglichkeit schon im Keime
der talentvollen Ausstattung mit in sich getragen. Seine Waghalsigkeit
verhalf ihm erst zu vielen Erfolgen, und eben diese Waghalsigkeit liess ihn
in fast toll zu nennenden Unternehmungen schliesslich sein Spanien, sein
Moskau und sein Waterloo finden. Nun vergleiche man die Bonapartische
Handlungsmanier, Aktionsmanie, Strategie und Denkweise mit derjenigen des
bedächtigen Moltke, so hat man die Wirkungen der abweichenden Charakter-
haltung handgreiflich vor sich,
Der Jahrhundertsabstand bringt den grellen Gegensatz des Miss-
geschicks des französischen zu den Erfolgen des deutschen Strategen in be-
sonders lebhafte Erinnerung. Ohne Zweifel hat die ungemischt germanische