Full text: Fachbildung, Fachtüchtigkeit und jugendliche Lebensweise

Einlassung in das jedesmal erforderliche Sonderwissen und Sonderkönnen. 
Allein über allen Sonderungen steht und zu allen Sonderungen gesellt sich 
gleichsam auch als eine Specialität, nämlich als solide Lebensspecialität, die 
Annahme und Angewöhnung von Grundsätzen und Verhaltungsarten, von 
denen alle Gesetztheit und mithin auch die detaillierteste Fachtüchtigkeit als 
von ihren Vorbedingungen abhängig bleibt. 
Doch das Fach festzuhalten gegenüber den Abirrungen und Störungen 
allgemein und falsch verlockender Art ist oft keine Kleinigkeit. Auch allzu 
frühzeitige Beschäftigung mit Politik gehört zu diesen Störungen des noch 
jugendlichen Lebens. Man kann es überall bemerken, dass Lernende und 
Studierende, die sich zu politischer Machenschaft und Machenschaften hin- 
gezogen fühlen und in solchen Dingen ihr Interesse festlegen und ihre Zeit 
verthun, die sie zur Erwerbung von Kenntnissen und Fertigkeiten zu Rate 
halten sollten, meist in ihren Fächern nicht allzuviel ausrichten. Sie geben 
die Fachtüchtigkeit gleichsam für politische Allotria preis, Allotria im eigent- 
lichen griechischen Sinne des Worts, fremde Dinge also, die sie, insofern 
sie Studierende sind, nur ganz nebenbei angehen und am besten zunächst 
gar nicht einnehmen sollten. Hier ist also auch eine Klippe der geordneten 
Fachausbildung und, abgesehen von künftigen Staatsmännern von Fach und 
Beruf, dürfte die frühreife Einlassung in das Parteitreiben meist noch schäd- 
licher wirken als sonstige Ablenkungen ungehöriger Lebensweise. 
Indessen auch Staatsmännern in nuce können und hätten Kenntnisse 
nimmer schaden können. Auch sie vermögen in ihrem Fach davon Gebrauch 
zu machen, und es giebt solcher Kenntnisse genug, die durch Lernen und 
zwar durch Lernen in der Jugend erworben sein wollen. Auch einige früh- 
zeitig geordnete Gewohnheiten der Lebensweise sind dabei nicht vom Über- 
fluss. Der Mangel der Kenntnisse, gesetzter Erziehung und Schulung rächt 
sich grade in den hohen Stellungen am meisten und wird auch den 
besseren Naturen in diesen Höhenlagen nachträglich manchmal fühlbar genug. 
Das Bewusstsein des Mangels drängt sich dann auf, und im günstigsten Fall 
werden die klaffenden Lücken auszufüllen gesucht. Letzteres macht sich 
aber nicht so leicht; fremde Hülfseinsichten können die eigne Einsicht, wo 
sie das unmittelbare Fach direkt oder indirekt betrifft, nur unzulänglich und 
manchmal gar nicht ersetzen. Im Grunde ist aber dieser Ausgang nicht 
bloss bei Staatsmännern festzustellen, sondern es finden sich seine Analoga 
überall vor. Was unter Einfluss einer falschen jugendlichen Lebensweise, 
einer unrichtigen Erziehung und Bildung für die Fachausrüstung verfehlt 
ist, lässt sich selten zulänglich nachholen und wird gleichsam zum mass- 
gebenden Schicksal für alles weitere. Seien wir also zufrieden, wo und wann 
sich irgend eine Aussicht bietet, alle besseren Züge der Lebensweise aus ver- 
schiedenen Ständen zu verschmelzen und die schlechteren gegenseitig abzu- 
schleifen. In letzterer Richtung liegt der Fortschritt wahrer Kultur, nicht 
aber in der Amalgamierung von Abweichungen und Ausschreitungen. 
Das Jahrhundert, dessen letztes Jahr wir verleben, hat eine wunder- 
liche Theorie ausgeboren, nämlich die eines gewissen Zusammentreffens von 
Genie und Wahnsinn. Was hier Schopenhauer zum Schutze seines eigenen 
Hauses ausgesonnen und was von weniger originellen Köpfen ins Breite 
ausgesponnen worden, kennzeichnet so recht die Bedenklichkeit des Genialis- 
mus, einer hoffentlich bald überwundenen Phase der Verzerrung und Er- 
setzung wirklich schöpferischen Geistes durch Aftergenialität. In der That 
wird das sogenannte Geniale durch die thatsächlichen Umstände, die eine 
Mischung von Störung und Begabung wirklich aufweisen, nicht wenig kom-
	        
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