Full text: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten

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Universitäten den lateinischen Dissertations- und Ceremonialzwang 
etwas beschränkt und gelegentlich auch wohl einmal Miene gemacht, 
die Alleinherrschaft der alten Philologie in einigen Richtungen in 
Frage zu stellen. Solche kleine und langsame Beseitigungen bereits 
überall lächerlich gewordener Ueberlieferungen haben aber an der 
Hauptsache nichts geändert. Das Wissen, welches für die Staats- 
prüfungen beschafft werden muss, wird zum grossen Theil auf 
anderm Wege als durch die Universitätsvorlesungen angedrillt, 
Buchhülfen, sogenannte Paukatur, sowie allerlei private Neben- 
institute müssen hier aushelfen; denn die Ohnmacht des sich träge hin- 
schleppenden einseitigen Vortrags mit seinem semesterlang ausgespon- 
nenen Faden wird immer fühlbarer, und die unpraktische verrottete 
Manier, in welcher viele Wissenschaftsrubriken in nutzloser Aus- 
füllung mit allerlei gelehrtem Schutt dargeboten werden, drängt sich 
denn doch den Candidaten der verschiedenen Berufszweige bei Ge- 
legenheiten, wo es etwas gilt, einigermaassen auf. Am wenigsten 
ist dies freilich da der Fall, wo, wie in der Medicin oder in der Philo- 
logie für unsern Staat, die Professoren auch zugleich die staatlichen 
Prüfungscommissionen ausfüllen. In diesem Fall sind sie aber doch 
gezwungen, ganz andere Forderungen zu stellen, als in den spie- 
lend tastenden Tentamen, die zur Doctorirung ausreichen. Mag 
der Staatsprüfungscandidat zusehen, woher er den Stoff sich einver- 
leibe; das Anhören der meisten Universitätsvorlesungen, soweit es 
wirklich noch ertragen wird, verhilft ihm sicherlich nicht dazu ; aber 
der Umstand, dass der büreaukratische Staat eingegriffen hat, ist 
doch wenigstens die Ursache, dass mehr herauskommen muss, als 
das, was die Zünfte als Meisterstück verlangen und als Abschluss 
der bei ihnen durchgemachten drei- oder vierjährigen Lehrlingsschaft 
gelten lassen. Es ist also nicht ein Verdienst der Universitätszünfte, 
wenn vermöge der Staatsanordnungen eine gewisse Summe von 
Kenntnissen zur Prüfung auf irgend einem Wege eingepackt werden 
muss, um dann für den entscheidenden Tag zum Auspacken bereit 
zu sein. Freilich wird dann die Reise durch das praktische Leben 
nicht zu viel von der Bagage mitzuschleppen haben; denn die letz- 
tere verliert sich zu einem grossen Theil und Stück für Stück, ohne 
dass eine besondere Bemühung nöthig wäre. Einiges haftet jedoch; 
aber selbst an diesem Wenigen sind die Universitäten meist un- 
schuldig; denn grade die allmälige und allein nachhaltige Einver- 
leibung von Wissensstoff , um welche es sich bei einer wohlgeord- 
neten, nicht erst schliesslich überstürzten Vorbereitung handelt, ist
	        
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