Full text: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten

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kritische Schärfe spricht ganz besonders den semitischen Geist an; 
und dort haben Sie Ihre begeistertsten Zuhörerinnen. 
Dass Sie aus loyaler Rücksicht auf das Lyceum eine Mitwir- 
kung an einer vom Letteverein im grösseren Stil zu errichtenden 
Frauenbildungsanstalt abgelehnt, verdient meine volle Anerkennung; 
indess Victoria-Lyceum und Letteverein bilden durchaus keine Gegen- 
sätze, ergänzen sich vielmehr. 
Ferner, Sie stellen zwei bestimmte Fragen und verlangen von 
mir deren präcise Beantwortung. Eine gar schwere Aufgabe! Sie 
halten mich doch nicht etwa für ein Kind, das aus der Schule plau- 
dert? Darf über die in einer Conferenz geführten Beschlüsse ge- 
sprochen werden? Eines sei Ihnen gesagt, es müsste eine gewaltige 
Anarchie in der Verwaltung des Lyceums herrschen, wenn hinter 
dem Rücken des Curatoriums*) über Person und Lehre Beschlüsse, 
die dasselbe zu vertreten hat, gefasst werden dürften. 
Ich will Ihnen ganz im Vertrauen und privatim aus Dankbar- 
keit für Ihre dem Lyceum geleisteten Dienste etwas mittheilen. 
Wenn ich der Discussion in der letzten Conferenz gefolgt bin, als 
Ausländerin, so verlangt man eine grössere Objectivität, eine nicht 
allzuscharfe schneidige, dem Herkömmlichen ganz abgewendete 
Kritik in der Behandlung philosophischer und literarischer Gegen- 
stände. Was Sie, hochgeehrter Herr, geben, ist ja bedeutend, geist- 
voll, eigenartig, mit einem Worte Dühringsch! Es soll aber auch 
die Denk- und Betrachtungsweise anderer auf den verschiedensten 
Gebieten des Wissens bahnbrechender Männer zum Ausdruck ge- 
langen. Grade diese Ausschliessung , wenn Sie es doch einmal so 
nennen wollen, gereicht Ihrem selbständigen philosophischen Forscher- 
geiste zur Ehre; es soll einmal mit einer andern wissenschaftlichen 
Methode als der Ihrigen, an und für sich ganz und gar berechtigten 
und tief durchdachten, der Versuch gemacht werden. Ist das etwas 
so ungeheuer Ketzerisches! gilt nicht auch in der Wissenschaft und 
namentlich in der Philosophie — Königin der Wissenschaft — Tole- 
ranz als das höchste Gesetz? 
Hiemit sind meine Versuche, Ihnen Aufklärung zu geben, erschöpft 
und bleibt mir nur übrig, mit dem Ausdrucke meiner ganz beson- 
dern Hochachtung zu schliessen als Ihre ganz ergebene Archer“. 
*) Nach dem Prospect sind Mitglieder des Curatoriums der Geheime Rath 
Bonitz, die Professoren Gneist, Virchow, du Bois-Reymond, Lazarus, Frau 
Professor Helmholtz, Frau Fanny Reichenheim u. s. w. Dg.
	        
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