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ganz gegen die ursprüngliche Absicht, weit mehr gegensäfzlich
als einhellig und zu einander komplementär gedacht!). Aber
in der Verbesserung dieser Fehler bewährt sich nur desto über-
zeugender der methodische Kerngedanke.
Und so dürfen wir auf demselben schlichten und sicheren
Wege zu den wahren Grundfaktoren des sozialen Lebens zu
gelangen hoffen. Ja, das gleiche Prinzip wird uns über Plato
noch einige wesentliche Schritte hinaus führen. Eines nament-
lich, woran Plato in seiner Zeit kaum denken konnte, was
dagegen dem heutigen. Forscher sich besonders nahe legen
muß: die Entwicklung des sozialen Lebens muß sich wohl
einem letzten Gesetze fügen, das auf der gleichen allgemeinen
Grundlage deduktiv zu gewinnen ist. Unserem Zeitalter ist
der Gedanke der Entwicklung so in Fleisch und Blut über-
gegangen, daß man an eine fundamentale Untersuchung über
irgend ein Problem der Sozialwissenschaft die Frage immer
zuerst richten wird, wie weit ihre Erkenntnis dadurch ge-
fördert sei. Die Förderung aber, die hier vor allem not tut,
sehen wir in der Erkenntnis, daß eine Entwicklung irgend
welcher Art sich nicht anders zu klarem Begriff bringen und
methodisch beherrschen läßt, als auf Grund der Idee. Ein
Gesetz der Entwicklung läßt sich nur entwerfen aus. dem
Standpunkte der Idee, indem man sie, nach Kants Terminus.
als „regulatives Prinzip“ in die Erfahrung einführt. Diesen
von Kant gewiesenen, aber nur in einzelnen Andeutungen von
ihm selbst betretenen Weg gedenken wir zu verfolgen; die
Deduktionen des grundlegenden Teils enthalten die Recht-
fertigung dafür.
Nach allem, was über die psychologische Seite unsrer
Aufgabe schon bemerkt worden ist, bedarf es nur kurzer Er-
innerung, daß diese ganze Ableitung nicht als psychologisch
verstanden und beurteilt sein möchte... Es ist ein rein objek-
tiver, vor aller Psychologie feststehender Unterschied, ob das
menschliche Bestreben, als bloßer Trieb, an den Augenblick
und das vor Augen Liegende gefesselt bleibt, oder ob es sich
1) Vgl. Abh. 1. u. Reins Enz. Hädb., Art. Platos Erziehungslehre, N. 6.