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Gemeinschaft beitragen muß. Wenn also überhaupt von
intellektuellen Tugenden, so wäre auch von einer intellektuellen
Tugend der Gerechtigkeit zu sprechen, als der Bereitschaft, auf
dem Grunde gemeinsamer Vernunft mit dem Andern auch im
bloßen Denken Verständigung zu suchen, gerechte Kritik zu
üben und gerechter Kritik sich willig zu unterwerfen. Nur ist
wiederum ohne weiteres klar, daß dies in dem ethischen Begriff
der Gerechtigkeit schon mitenthalten ist.
Dieses alles findet nun notwendig in der Erziehung, und
sofern die Erziehung des Verstandes, des Kennens wie des
Könnens, Unterricht ist, im Unterricht, und zwar in jedem
ohne Ausnahme, seine Anwendung. In dieser allgemeinen, auf
alle Gebiete des Intellekts ohne wesentlichen Unterschied sich
erstreckenden Beziehung wäre die völlige Einheit des Unter-
richts mit der Erziehung höchstens noch nachdrücklicher zu
betonen, als es seitens der Herbartianer geschieht, die diese
Seite der Frage kaum je beachtet, vielmehr regelmäßig nur im
Materialen der Vorstellungsbildung die Grundlage der Willens-
erziehung gesucht haben. Daß im Materialen allerdings derselbe
enge Zusammenhang der Intellekt- und Willensbildung statt-
finden muß, folgt für uns schon aus der Grundvoraussetzung der
unumschränkten Herrschaft der Form über den Stoff, im Er-
kennen wie im Wollen. Nur folgt aus derselben Voraussetzung,
daß der Zusammenhang ursprünglich formal; nicht
material begründet ist.
Auch hier treffen wir dagegen wieder genau zusammen mit
den Gedanken Pestalozzis, nämlich mit seiner Grundidee
der Elementarbildung, deren Kern wir eben darin sehen, daß
aller Besitz des entwickelten Menschengeistes aufgebauf werden
muß aus den ursprünglichen Elementen des gesetz-
mäßigen Verfahrens, nach welchem überhaupt
das Bewußtsein seinen Gegenstand sich ge-
staltet und damit erkennt (8 5). Wir erblicken hierin
einen Gedanken von schlechthin entscheidender Bedeutung für
das Ganze zunächst der Intellektbildung; einen Gedanken, der
durch Pestalozzi zwar nicht nach allen Seiten gleichmäßig
durchgeführt, von Herbart aber gründlich verkannt und ver-