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ist Phantasie, es erhebt nicht den Anspruch der Wahrheit,
wenigstens nicht der Wahrheit im Sinne der Naturwirklichkeit ;
aber auch nicht sittlicher Objekte, denn es beansprucht ebenso
wenig eine Verbindlichkeit für den Willen. Vielmehr ist sein
auffälligstes negatives Kennzeichen die gänzliche Freiheit, mit
der es sich über jede Verbindlichkeit logischer oder ethischer
Art erhebt. Nicht als ob die Schöpfungen des Verstandes und
Willens für das ästhetische Bewußtsein nicht vorhanden wären;
es.kennt sie und erkennt sie an; aber es gebraucht sie lediglich
als Stoff zu einer eigenen, überhaupt neuen, einer andern
Ordnung angehörenden Weise der Gestaltung.
Aber der Allgewalt des Gesetzes überhaupt vermag
doch auch diese freieste Gestaltungsart sich nicht zu entziehen.
Sie könnte nicht eine eigene Welt von Objekten organisieren,
wenn nicht durch eine eigene Gesetzgebung, die sie erst zur
Welt, zum geordneten Kosmos macht. Und diese Welt wäre
nicht unser, nicht einem und demselben Bewußtsein ange-
hörig, das auch über die Welten des Verstandes und des Willens
Herr ist, wenn nicht ihre Gesetzlichkeit zugleich in einer
inneren und notwendigen Beziehung stände zu den Gesetzes-
ordnungen, welche jene anderen Welten regieren.
Anders könnte es nicht eine eigene ästhetische Erkennt-
nis geben. Ohne Zweifel aber gibt es sie. Was schön ist und
was nicht, allgemein was ästhetisch möglich und nicht, ist
Gegenstand der Erkenntnis. Es mag oft schwer sein, darüber
zur Verständigung auch nur mit sich selber zu gelangen; aber
es gibt doch eine solche Verständigung, es gibt eine erreichbare,
wenigstens persönliche Gewißheit, es gibt Wahrheit und
Falschheit ästhetischen Urteils. Selbst im künstlerischen
Schaffen ist das eigentlich Entscheidende die Erkenntnis,
allerdings nicht eines zuvor gegebenen, sondern im schaffenden
Geiste des Künstlers eben jetzt zuerst sich erzeugenden Ob-
jekts. Das Weitere, die äußere Herausarbeitung des mit
überzeugender ästhetischer Wahrheit innerlich Geschauten zu
einem auch für Andre so Anschaubaren und Überzeugenden,
wäre lediglich Sache äußerer Technik, wenn nicht in Wahrheit
auch dabei die schöpferische Anschauung d. i. die ästhetische