— 344 —
Sichfühlen überhaupt von sich aus ein Objekt setzen? Das er-
scheint nicht nur, sondern ist in der Tat schwierig.
Also wird es sich wohl so verhalten, daß die ästhetische
Gestaltung das Gefühl der Lust und Unlust zwar, ebenso wie
das Materiale des Vorstellens und Strebens, als Stoff gebraucht,
daß aber das Gesetz der Formung dieses Stoffes nicht ein Gesetz
des bloßen Fühlens noch aus den Gesetzen des Fühlens allein
verständlich ist. Lust und Schmerz sind für die ästhetische
Gestaltung nichts mehr als die helleren und dunkleren Töne.
die sie mit völliger Freiheit, so wie der Maler seine Farben;
mischt und in ein Verhältnis setzt, welches sie von sich aus
nach ihren eignen Gesetzen bestimmt. Das Gesetz dieser
Mischung aber beruht nicht wiederum auf dem Gefühl der
Lust. und Unlust,. etwa auf einem angestrebten Übergewicht
der Lust über den Schmerz, oder der Hebung . der helleren
Töne durch den Kontrast der dunkleren. Ein mächtiges Kunst-
werk, eine Tragödie etwa, kann sehr wohl eine überwiegend
dunkle Gefühlsstimmung zurücklassen. Die Kunst kennt eben-
sowohl eine Hebung der dunklen Töne durch helle wie um-
gekehrt. Behaglicher ist ja das wenigstens schließliche Durch-
dringen einer freudigen Stimmung; aber künstlerisch möglich
ist ebensowohl das Gegenteil.
Auch die alte Bemerkung fördert hier wenig, daß gerade die
Entladung des Schmerzes vom Schmerz befreit. Etwa auch die
Entladung der Freude von der Freude?‘ Also wäre das Ergebnis
der schmerz-' und freudlose Zustand, die Leere des Gemüts?
Aber. man meint nur die Befreiung vom Übermaß, die Rück-
kehr also zu jener sanften, gleichmäßigen Bewegung des Ge-
müts, welche die Hedoniker als den begehrenswertesten Zustand
preisen. Es ist zuzugeben, daß die Kunst eine solche Wirkung
üben kann. Aber sie muß sie nicht üben. Und. zuletzt wird sie
sich jeden solchen äußeren Maßstab der Beurteilung ver-
bitten. Dem unmittelbaren künstlerischen Erlebnis jeden-
falls ist die Flucht vor starken Erregungen, das Verlangen
ihrer los zu werden, gänzlich fremd. Eine etwaige hygienische
Nebenwirkung aber ginge nicht die Kunst an, sondern allen-
falls die Medizin.