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Auf diesem toten Punkt ist der Streit gegenwärtig an-
gekommen. Es fragt sich, ob es hierbei bleiben, ob also die
Menschheit in diese zwei unversöhnlichen Parteien für immer
auseinanderfallen : soll. Warum nicht? wird der Religiöse
sagen, dessen ganzes Denken ja darauf eingestellt ist, eine
solche schließliche Dualität als unvermeidlich hinzunehmen;
auch wenn ihm Hölle und Teufel zu etwas verblaßten Reali-
täten geworden sein sollten. Anders der Humanist. Er wird,
nicht aus schwächlicher Friedenssehnsucht oder gar im Gefühl
der eigenen Kampfunfähigkeit, sondern nach dem ganzen
Prinzip seiner Denkweise den Ausgleich für möglich und not-
wendig halten; möglich und notwendig eben auf dem Boden —
der Humanität. Er wird versuchen, Religion selbst als eine
Geburt des Menschentums zu begreifen; er wird versuchen zu
zeigen, daß der Quell und innere Grund der Religion — der-
selbe innere Grund, der, wenn ausschließlich wirkend,
nicht in ein reines Verhältnis gesetzt zu Wissenschaft, Sitt-
lichkeit und Kunst, die Transzendenz und damit jenen un-
heilbaren Konflikt unvermeidlich herbeiführt — dann, wenn
er dies reine Verhältnis zu suchen nicht verschmäht, auf die
Transzendenz verzichten, und gerade so erst in seiner Reinheit,
seiner echten Menschlichkeit sich enthüllen wird. Ich möchte,
daß man auf diese Grundthese meiner früheren Schrift ernstlich
eingegangen wäre, Die Antwort: Religion ohne Transzendenz
sei eben keine Religion mehr, bedeutet, dieser These gegenüber,
nicht eine Antwort, sondern ein Achselzucken,
Alle edleren Gestaltungen der Religion, gerade die, die man
als die edelsten immer hat anerkennen müssen, enthalten rein
humane, namentlich menschlich-sittliche Elemente von tiefster
Bedeutung. Man kann dagegen einwenden: das beweise nur,
daß solche Elemente sich mit Religion also verträglich er-
wiesen haben, und zwar mit der Religion der Transzendenz,
die doch diese selben Religionen nicht etwa preisgegeben haben.
Allein auf der Höhe ihrer Bewußtheit treten
diese Elemente in unvermeidlichen Konflikt
mit der Religion, sofern sie Transzendenz ist;
während. sie, wie ich behaupte, verträglich bleiben mit der