Full text: Sozialpädagogik

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die Wiederherstellung seiner Gotteskindschaft in begnadeter 
Stunde in der Seele unmittelbar erlebe, ist nicht haltbar. 
Es ist auch hier, wie man sieht, nicht die Rede von dem 
vielgescholtenen Glückseligkeitsanspruch der Religion, sondern 
von ihrem Allerheiligsten, von der sittlichen Reinigung, die sie 
ihren Gläubigen verheißt. Es ist hart und kann selbst sittlich 
gefährlich scheinen, von sich selbst und vollends vom Andern 
zu fordern, daß man sogar auf diesen rein sittlichen Glauben 
der Religion verzichte. Und doch ist es notwendig, denn dieser 
Glaube hält vor der ganzen Schärfe gerade der sittlichen Kritik 
nicht stand. Denn sie fordert Wahrheit über alles, und wäre 
es über unser Heil; obgleich sie den Glauben nicht verbietet, 
daß zuletzt Wahrheit auch unser Heil ist, auch wenn wir es 
jetzt nicht erkennen. Es ist aber nicht Wahrheit, was der 
Überschwang des sittlichen Gefühls, die Selbstgewißheit des 
Gefühlserlebnisses des Sittlichen, uns zu glauben. verführt: 
daß wir in eben diesem Erlebnis nun sittlicher Reinheit und 
gottgleicher Schuldlosigkeit teilhaft geworden seien. Die Wucht 
der Schuld, wir müssen sie weiterschleppen, und in harter, 
resignierter Arbeit ihr ein reelles Gegengewicht schaffen; eine 
andre Erlösung gibt es sittlicherweise nicht. 
Also gibt es. keine, wird man antworten; denn dies Gegen- 
gewicht — wie oft hat man uns das vorgerechnet — vermögen 
wir nicht aufzubringen. — Nun denn, so muß man, wenn 
Friedrich Vischer trofzig. dichtet: „Es gibt keinen lieben 
Vater im Himmel‘, auch hinzusetzen: es gibt keine Erlösung, 
sondern Arbeit ist Menschenlos, ein Streben sonder Rast zum 
ewig fernen Ziel. Und dennoch: „In Seelen, die das Leben aus- 
halten und Mitleid üben und menschlich walten, mit vereinten 
Waffen wirken und schaffen trotz Hohn und Spott — da 
ist Gott.“ Der in der Religion schlummernde sittliche 
Glaube hat Tausenden Kraft gegeben eben hierzu; solche 
Kraft kann nicht aus nichts, aus leerer Einbildung entstammen. 
Es muß also solche Kraft im Gefühlsgrunde der 
Religion liegen, eine Kraft zu trauen auf die Realität 
dersittlichen Aufgabe, allem zum Trotz. Aber braucht 
dies Zutrauen, neben diesem subjektiven, einen andern ob-
	        
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