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hauptet, daß das Symbol des Heiligen zu dem Heiligen selbst
gemacht wird, und in dieser Meinung etwa der Gestus der
Anbetung sich gegen es richten darf. Ganz hat auch der
bilderfeindlichste Kultus das nicht gemieden. Das Angebetete,
Göttliche soll unsichtbar, ohne körperliche Sinne, auch keinem
menschlichen Laut erreichbar sein; aber die sichtbare Gebärde,
die hörbare Sprache der Anbetung scheint doch es in den Ort
und Augenblick bannen zu wollen. Sobald die Gegenwart des
Göttlichen so genommen wird, ist der Sinn des „aufrichtigen
Scheins“ verletzt, und eine Dogmatik in die an sich rein ästhe-
tische Gestaltung hineingetragen, die doch dem Ästhetischen
seinem ganzen formalen Grunde nach fremd und feindlich ist.
Auch hier wird nur die Wahrheit der Sache in ihrer Rein-
heit wiederhergestellt, wenn. man den transzendenten Sinn des
Symbols abstreift und ihm die klare, unangreifbare Bedeutung
der künstlerischen Gestaltung zurückgibt, die einzige, die es
ehrlicherweise behaupten kann und die es erfahrungsmäßig
auch an dem unverkürzt beweist, der den dogmatischen Sinn
des Symbols ganz verwirft. Der Transzendenzgläubige wird
freilich eben hieran sich stoßen; so wie selbst einer der feineren
Gelehrten aus dem ultramontanen Lager den Faust-Epilog für
eine Blasphemie erklären konnte. Uns Andern ist es eine
gewichtige Betätigung, daß die Kunst und Dichtung schon
längst den Weg gegangen ist, den wir vorschlagen, und zu
einigen ihrer unsterblichsten Schöpfungen auf diesem Wege
gelangt ist.
So also ist die Wandlung der Religion, die wir nicht
fordern, sondern erwarten; die, in Vielen ohne klares Wissen,
in Wenigen bewußt, schon jetzt vollzogen ist. Es bleibt übrig
zu untersuchen, welche Wirkung die so gereinigte Religion —
aber auch die überkommene Religion, insofern sie die aufge-
zeigten wesentlichen Momente, wenngleich in noch nicht ab-
geklärter Reinheit, dennoch enthält — in sittlicher Hinsicht,
im Verein mit allen früher aufgewiesenen. Faktoren der sitt-
lichen Bildung, zu üben imstande ist.