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2) die nhd. form schlieszt sich zunächst der mhd. an, so dasz
menige, menig noch vielfach bis ins 16. jahrh. dauern: multi-
tudo menige DıEr. 371°; menige copia, quasi habundantia, me-
nig volks, turma, concio, multitudo populi. voc. inc. theut. n 6°;
minnige, menigin, meine LEXER mhd. wb. 1, 2101, weitere bei-
spiele im folgenden. menge kommt schon mhd. auf:
ir menge wart niht merre,
niwan dise viere. Erec 8762;
die wahteln habent die art, daz si gegen winterszeiten über
mer varnt in ainer grözen meng. MEGENBERG 182,19; agmen
vily, menge DıEr. 18°; multitudo mengin 371°; furba ein un-
geordenot mengin 602°, um, da sie LuTHER braucht, noch im
laufe des 16. jahrh. die ausschlieszliche form zu werden.
3) menge, ohne nähere bestimmung durch theilungsgenitiv oder
sonst, in seinem früheren vorkommen auf eine menschenansamm-
lung, einen volkshaufen, schar, bezogen: goth. panuh ban usdri-
bana varb sö managei (0 öxAos). Matlh. 9, 25;
ahd, druhtin selbo in unära giang sär in eina fiara,
er joh sin githigini suntar fon ther menigi.
OrrFrıp 3,4,42 (declinavit a turba vulg.);
mhd. dö hort ich einen ritter vil wol singen
in Kürenberges wise al üz der menigin.
minnes. frühl: 8,6;
hie wurden dise zwene man
Erec und Mabonagrin,
von aller dirre menigin
schöne gesalüieret. KLrec 9657 (vorher burgxre 9638).
wie später: menge, ein grosze versamlung oder zesamenkom-
mung desz volks, multitudo, agmen, turba, coetus, celebritas,
Concio, conventus MAALER 288°; es ist ein geschrei einer menge
auf den bergen, wie eines groszen volkes. Jes. 13, 4; die pal-
last werden verlassen sein, und die menge in der stad einsam
sein. 32,14; dein herz wird sich wundern und ausbreiten,
wenn sich die menge am meer zu dir bekeret. 60, 5; gegen-
wertig aller menig (praesente populo). Bocc. 2, 206°; als nun
lie stund kam, das er predigen solt, versamlet sich ein grosze
menige in der kirchen. Wıckram rollw. 150,13 Kurz.
4) diese bedeutung tritt auch in mehr rechnerischem sinne her=
vor, insofern die zusammensetzung eines solchen haufens aus
einzelwesen deutlicher als in den vorhergehenden beispielen gefühlt
wird, es ist wie grosze anzahl: ich wil deinen samen also
mehren, das er fur groszer menge nicht sol gezelet werden.
1 Mos. 16, 10, vergl. 32, 17; damit zweierlei geschlecht under-
einander vermischet kinder ausziehen möchten und die ganz
erden mit ihrer menig erfüllen. Aıpınus Vergil, (1537) 7°; item,
das ist kein gebot, wachset und-mehret euch, das stettig
binde, sondern hat allein zu jener zeit golten, da noch wenig
leut gewesen, und nicht mehr jtzo, da für mennig einer den
andern drücket. bei LUTHER 5,97;
jetzt wird der angst die stadt, der tempel vor die menge,
den thränen seine gruft und ihm die welt zu enge.
GÜNTHER 801;
so im gegensatz zu einzeln oder wenig: so sol gewis dieser
hauf, des eine grosze menge ist, ganz gering werden. Baruch
2,29; ihr werdet gegen die menge wenig sein. GörTHE 8, 86:
hier stehen tausende dich zu beschützen,
hier wirken tausende nach deinem wink; ;
und wenn der einzelne dir herz und geist
und arm und leben fröhlich opfern wollte,
in solcher groszen menge zählt er nicht. 9.264-
Jaher aber auch selbst kleine menge: die kleine menge aber,
die den gesetzgeber ernähret, und daher auch seine vor-
zügliche aufmerksamkeit verdienet, dürfte wohl eine andre
sprache führen. Möser pafr. phant. 1, 106; die alte formel die
meiste menge, von dem gröszten theile einer schar (vgl. oben
5p. 1949), später durch substanlives die meisten ersetzt (ebenda)
wenn es kompt, dasz eine newe tracht (kleidertracht) allent-
halben gemein ist, mag man alsdenn wol der meisten mennig
nachfolgen, und thun wie die andere, jederman nach seinem
stand. b..d, liebe 289°;
des was die meiste menje vrö. [ivl. chron. 1178.
5) andrerseits aber hebt sich auch die gesellschaftliche oder
staatliche verbundenheit einer schar hervor: in älteren bairischen
quellen ist menige, menig gemeinde, dorfmenig, kirchmenig,
pfarrmenig ScuyM. 1, 1605 Fromm.; auch sonst, vergl. dorfmenge
fh. 2, 1283, kirchmenge {h. 5, 822; Alexander Aurelius ... der
wart von der menig keiser geheiszen und von dem senate
Augustus, d. städtechron. 8, 28, 26; untz wie lang mürmelt wider
mich dise höse menig (multitudo haec pessima)? bibel von 1483
73° (diese böse gemeine bei LuTHER 4 Mos. 14, 27); und wil
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neinen grim ausschütten uber Sin, welche ist eine festung
Kgypti, und wil die menge zu No ausrotten. Hes, 30, 15; diese
yurden namhaftige fürsten in jren geschlechten des hauses
rer veter, und teileten sich nach der menge. 1 chron. 5,38;
lie menge aber der stat spaltet sich, etliche hieltens mit den
lüden, und etliche mit den aposteln. ap. gesch. 14, 4; so sehen
sie zum dritten, das an etlichen orten ein ganze menig und
7olk regiert, also was dem mehrertheil gefiel, dem gieng man
nach. Livius von SCHÖFFERLIN 4.
6) dies hat verächtlichen beisinn, namentlich in der neuern
prache erlangt, von der wahrnehmung aus, dasz solche enge
jesellschaftliche verbundenheit selbständigkeit und eigenes urtheil
jernichte, vergl. einen ähnlichen bedeutungsübergang bei haufe
| und 5, th. 4?, 584: du solt nicht folgen der menge zum
»ösen, und nicht antworten fur gericht, das du der menge
nach, vom rechten weichest. 2 Mos. 23, 2; ich bin nit gern
ei der menge, odi celebritatem. MAALER 281°; spannen sie
ılle ihre segel auf, erheben sie sich über die menge. WIELAND
4, 37; der ruhige beifall des kalten kenners oder das laute
zuklatschen der menge. 39; nicht die schimmernde that vor
dem auge der welt, nicht das stürmende klatschen des bei-
“alls der menge, die innere quelle der that ists, die zwischen
'ugend und untugend entscheidet. ScHiLLER hist.-krit. ausg.
„61; wenn man der menge das mitgefühl alles menschlichen
zeben .. könnte. GÖTHE 18, 165;
das schätzt, das glaubt kein kopf, der wie ein taumelnd schaaf
noch mit der menge lauft. GÜNTHER 423;
wir sehn der tugend bahn; wir wollen sie beschreiten,
und lassen uns doch selbst von den begierden leiten.
der irrthum macht uns stolz, die menge reiszt uns hin.
CRONEGK 2, 123;
also spiele dein spiel; nicht für die menge, für dich.
HERDER z. Litl, 4,27:
sie hören nicht die folgenden gesänge,
die seelen, denen ich die ersten sang; ..
mein lied ertönt der unbekannten menge,
ihr beifall selbst macht meinem herzen bang. GörtTHE 12,5;
ich wünschte sehr der menge zu behagen, >
besonders weil sie lebt und leben läszt. 9;
ılie menge drauszen jauchzt, und die hatuken schallen,
FREILIGRATH dicht. 1,97;
sie wird dem pöbel nahe gestellt: das drama setzt eine müszige
menge, vielleicht gar einen pühel voraus, dergleichen sich bei
uns nicht findet, GörHeE 22,170; manchmal in ihren eigen-
schaften ihm gleich:
wohin entfliceht dem pöbellärm der menge
die stille wehmuth und der tiefe schmerz?
ARNDT ged. (1840) 169;
wie menge und pübel wol auch wechseln:
. dann forscht sie mit feurigem auge
um sich herum, ob sie unter der menge nicht edlere fände,
welche mit ihr den propheten bewunderten. .
KL.OPSTOCK 4,25 (Mess, 6,339);
2achher dieser pübel v. 350; die menge wird grosz, bunt,
'‚erworren, urtheilslos, betrogen, gaffend, unruhig w. ähnl.
jenannt: er verachtet das urtheil der groszen menge; ich
;ichämte mich nun, eine nation nach der verworrenen menge
beurtheilt zu haben, die sich in eine theatergarderobe drängen
mag. GöTHE 19,107; der bunte pickelhäring, den der schlaue
alte unter die unruhige menge emporgeschickt hat. IMMERMANN
Münchh. 1, 167; wahre liebe ist schüchtern und verbirgt sich
vor der gaffenden menge. Freytag dram, werke 1,201:
rauf versucht er, wie weit er die schwindelnde menge be-
herrsche. KL.oPsTocK 4,50 (Mess. 7.113):
um einen arzt und seine bühne
stand mit erstaunungsvoller miene
die leicht beirogne menge
in lobendem gedrenge. LESssING 1,59;
stand die erstaunte menge. ebenda;
0 sprich mir nicht von jener bunten menge,
bei deren anblick uns der geist entfieht. GörTHE 12,10:
. die wankelmüthge menge,
die jeder wind herumtreibt! ScaiLLER M. Stuart 4,11;
ihr werden nach geistiger und gesellschaftlicher seite hin die
eiter, oberen, gruszen, regierenden entgegengesetzt: doch die
menge hat immer sinn genug, wenn die obern damit begabt
sind, GÖTHE 22, 182;
die hohenpriester begleiten
zu Herodes den göttlichen sohn, mit ihnen die menge,
Kı0pPsTOCK 4,75 (Mess. 7,499):
grosze gingen zu grunde: doch wer beschützte die menge,
gegen die menge? da war menge der menge tyrann,
GÖöTurR 1. 362-