ERSTES KAPITEL.
DIE GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG DER
ANSCHAUUNGSLEHRE.
Seit mehr als hundert Jahren ist das Wort Anschauung
die Losung geworden für alle Unterrichtsbestrebungen, die
gegen den leeren Wortkram ankämpfen und für eine leben-
dige Erfassung der Wirklichkeit und eine unbedingte, klare
Sachlichkeit eintreten. Wir brauchen es nur zu nennen und
jedem steht deutlich das Bild einer Erziehung vor der Seele,
die an die Stelle des toten Buchstaben die bunte Fülle der
Erscheinungen setzt. Und doch, so einfach und selbstver-
ständlich das Wort Anschauung klingt, es liegt doch in
ihm eine Zwiespältigkeit, die zwar teils gewollt und deut-
lich ausgesprochen ist, teils aber auch nicht bis zur bewußten
Auffassung vordringt und so zu Streit und Mißverständnissen
führen kann.
Diesen Doppelsinn in seiner vollen Bedeutung und in
allen seinen verschiedenen Abschattierungen zu erfassen, ist
nicht ganz so leicht. Wir. müssen schon das Rüstzeug der
zeschichtlichen Untersuchung aufbieten, um der Aufgabe
einigermaßen Herr zu werden. Wir müssen uns das Auf-
kommen und die allmähliche Verbreitung des Grundsatzes
der Anschaulichkeit im Unterricht vor Augen führen und
uns die Veränderungen, die er nach und nach erfahren hat,
klarmachen, um zu erkennen, was er wirklich bedeutet,
Nicht um weit Zurückliegendes und Überwundenes wieder
zum Leben zu erwecken, sondern um die Aufgaben der
Gegenwart richtig verstehen zu lernen, greifen wir zurück
in die Vergangenheit. Die historische Betrachtung braucht
Timerding: Erziehung der Anschauung.