Full text: Charakterbegriff und Charaktererziehung

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VI. DIE URTEILSKLARHEIT 
Die zweite Bedingung für die Ausbildung des 
Charakters liegt in der Urteilsklarheit oder 
logischen Denkfähigkeit. Der unklare 
Mensch kann nicht konsequent handeln außer in 
den gewohnheitsmäßigen Fällen. Bei ungewohn- 
ten Anlässen kommt er entweder zu gar keinem 
Handeln, da er keinen Willensentscheid zu finden 
weiß, oder zu einem unsicheren, vom Zufall be- 
stimmten Handeln. Dies führt ihn dann nur all- 
zuoft mit früheren Fällen in Widerspruch, was 
er nicht selten mit den Worten bedauert: „Wenn 
ich es nur vorher besser überlegt hätte!‘ Die 
großen heroischen wie die großen selbstsüchti- 
gen Charaktere der Geschichte zeigen stets kühle 
Klarheit des Verstandes. Aus einem beschränk- 
ten Kopfe einen Charakter machen zu wollen, ist 
vergebliche Liebesmühe. Seine eigene Urteils- 
losigkeit wird ihm zu viele Streiche spielen. Die 
höchsten Stufen des auf sich selbst gestell- 
ten sittlichen Charakters verlangen auch 
höchste Urteilsfähigkeit. Die beharrliche Tugend 
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