142 VII. Die Feinfühligkeit
Und nun ist wohl kaum mehr schwer zu ver-
stehen, was unter F einfühligkeit der Charakter-
anlage gemeint werden soll. Feinf ühligkeit
ist die Leichtigkeit und Mannigfaltig-
keit des Ergriffenwerdens der Seele
den tausendfältigen, keineswegs gleichen, sondern
verschieden gearteten Lagen und Verhältnissen
gegenüber, wie sie sich von Mensch zu Mensch
im Verkehr der Gemeinschaft ergeben. Auch hier
stehen den stumpfen Seelen empfindsame gegen-
über. Es gibt Personen, welche aus dem Men-
schengewoge der Stadt London und ihrem Leben
und Treiben ohne anderes Erlebnis zurückkehren
als dem einen, daß es schrecklich war, und es
gibt Menschen, denen eine Reise durch die
Wüste zu einem Ereignis von tausenderlei Er-
lebnissen wird.
Diese Feinfühligkeit ist nun entweder ein be-
wußtes, durch blitzschnell sich vollziehende Denk-
akte eintretendes Verhalten des Menschen gegen
äußere Verhältnisse. Sie ist, sofern wir es mit
einem Menschen von lebendigem Vorstellungs-
ablauf überhaupt zu tun haben — was auf einer
Naturanlage des Nervensystems beruht —, un-
zweifelhaft durch frühzeitige Mannigfaltigkeit
der Berührungen entwickelbar. Das unbehilfliche