X. VOM WESEN DER CHARAKTER-
ERZIEHUNG ÜBERHAUPT
Die Untersuchung über den Charakterbegriff
läßt uns nun dem Verständnis für das Wesen
der Charakterbildung etwas näher treten. Zu-
nächst werden wir uns bewußt, daß wir uns
eigentlich einer zweideutigen Ausdrucksweise
bedienen, wenn wir von Charakterbildung
sprechen. Wir müßten vorsichtiger sagen: Cha-
rakterentwicklung oder Charaktererziehung. Bil-
den oder Formen kann ich auch Anorganisches,
entwickeln, erziehen nur Organisches. Die viel
größere Mannigfaltigkeit von Möglichkeiten des
Bildens im Gebiete des Anorganischen verführt
uns nur zu leicht an eine solche Freiheit des Ge-
staltens auch bei organischen Individualitäten zu
glauben. Ich kann eine Statue aus Tonklumpen
bilden, aber nicht entwickeln; ich kann aus einem
Haufen von Steinen, Holz und Eisen einen Tem-
pel bilden, aber nicht entwickeln; ich kann um-
gekehrt aus einem zeichnerisch begabten Knaben