214 X. Wesen der Charaktererziehung
diese Lüge des Bewußtseins festzuhalten. Im
Kindesalter reichen im allgemeinen die Willens-
kräfte dazu nicht aus. Wenn es richtig ist, was
William James im Kapitel über die Aufmerk-
samkeit für wahrscheinlich hält, daß eine geniale
Veranlagung den Menschen hindert, Gewohn-
heiten der willkürlichen Aufmerksamkeit zu er-
werben und daß eine normale intellektuelle Be-
gabung der Boden ist, auf dem wir hier wie über-
all das beste Gedeihen der in engerem Sinne so-
genannten Willenstugenden erwarten können, so
verstehen wir auch die Schwierigkeiten, die dem
einseitig genial Veranlagten (es gibt auch
vielseitige Genies) auf dem Wege der Cha-
rakterbildung bereitet sind.
Ein Glück ist, daß die Genies die Ausnahmen
in der Menschheit bilden.‘ Unter den übrigen
Menschen findet sich dankbares Material genug,
das es rechtfertigt, wenn wir uns nunmehr über-
legen, wie das Haus, die Schule und die Selbst-
erziehung arbeiten sollen, um eine möglichst
große Zahl von Charakteren zu erziehen. Wir
wollen in den folgenden drei Kapiteln diese
Frage untersuchen. Wo die Familienerziehung
einigermaßen Charakteranlagen vorfindet, kann
sie ohne Zweifel in den meisten Fällen Erheb-