III. ABSCHNITT.
Das siebzehnte Jahrhundert.
I. Kapitel.
Das saeculum mathematieum.
Wir bringen das Neue nicht, um die Geister zu verwirren,
sondern um sie aufzuklären, nicht um die Wissenschaften zu
zerstören, sondern um sie wahrhaft zu begründen.
Galilei.
War das 16. Jahrhundert in wissenschaftlicher Hinsicht mehr ein Zeit-
alter der Vorbereitung und des Übergangs gewesen, so brachte das 17. Jahr-
hundert die wissenschaftliche Frucht des Humanismus zur vollen Reife.
Von der doppelten Vormundschaft der Kirche und des Altertums befreit,
betätigt der Geist des christlichen Abendlandes seine Selbständigkeit da-
durch, daß er in der Mathematik wie in den Naturwissenschaften neue
Wege wandelt, in ihnen die moderne Ära der Forschung begründet und durch
die glänzenden Errungenschaften auf jenen Gebieten die Gewähr gewinnt,
daß der eingeschlagene Weg der richtige ist. Die im vorherigen Jahrhundert
begonnene Verschiebung des wirtschaftlichen und damit auch des wissen-
schaftlichen Schwerpunkts von Europa gelangt zum Abschluß. Italien,
das in den ersten Jahrzehnten mit Galilei an der Spitze der naturwissen-
schaftlichen Forschung steht, verliert endgültig seine Bedeutung, und mit
Huygens und Newton werden die Länder an den Gestaden der Nordsee die
vornehmsten Werkstätten des menschlichen Geistes, seiner staatenbildenden,
ideenhervorbringenden, die Natur beherrschenden Tätigkeit.
Deutschlands Beteiligung an der allgemeinen Kulturarbeit wurde
leider schon im zweiten Dezennium des Jahrhunderts durch den Dreißig-
jährigen Krieg gewaltsam unterbrochen. Die Verheerungen dieses Krieges
zerstörten die wirtschaftliche Kraft der deutschen Länder und Städte
fast. vollständig, was eine vernichtende Rückwirkung auch auf geistigem
Gebiet zur Folge hatte. Es ist ein bewundernswertes Zeichen von der Tüch-
tigkeit des deutschen Volksstammes, daß er in den letzten Jahrzehnten in
Leibniz doch den wissenschaftlichen Größen Frankreichs, Hollands und
Englands einen ebenbürtigen Geist an die Seite zu stellen vermochte.