_ I. Kapitel: Das saeculum mathematicum. 113
Dynamik, womit sämtliche in das Gebiet der Mechanik fallenden Probleme
in den Kreis der Untersuchung gezogen werden konnten. Hier stellte er die
Gesetze des freien Falles, des senkrechten und horizontalen Wurfs auf,
bestimmte die Abhängigkeit der Schwingungsdauer eines Pendels von der
Pendellänge, gab die Konstruktion der Pendeluhr an und sprach zum ersten
Male das Trägheitsgesetz aus. Vor allen Dingen aber brachte er Klarheit
in die Grundbegriffe der Mechanik: Geschwindigkeit, Kraft, Beschleuni-
gung. Der letztgenannte wurde erst von ihm geschaffen; während die
Kraft vor ihm nur als Druck bekannt war, stellte er ihren Zusammenhang
mit der Geschwindigkeitsänderung, d.h. der Beschleunigung fest. *?)
Auch auf anderen Gebieten der Physik war der große Florentiner tätig.
Er versuchte das Gewicht der Luft zu bestimmen, benutzte die Ausdehnung.
der Luft durch die Wärme, um das erste Thermoskop herzustellen, und noch
trägt ja ein Fernrohr seinen Namen. Die Lebensarbeit dieses gewaltigen
Forschers war keine vergebliche; der von ihm eingeschlagene Weg wurde
sofort von würdigen Nachfolgern betreten, und sein Wirken blieb bestim-
mend für die physikalische Forschung bis auf den heutigen Tag.
Wer sich mit der Entwicklungsgeschichte der Physik in dem Zeitraum
nach Galilei beschäftigt, dem drängt sich unwillkürlich die Vorstellung
von einem Gefäß mit Wasser auf, das bis zum Siedepunkte erhitzt ist.
Die unablässige Kulturarbeit der früheren Jahrhunderte hat dem mensch-
lichen Geiste gleichsam einen solchen Vorrat potenzieller Energie zugeführt,
daß die innere Spannung nach außen hin wirksam wird, und in allen Kultur-
Jländern Europas fast gleichzeitig die Dampfblasen menschlichen For-
schungsgeistes in Gestalt neuer physikalischer Entdeckungen und Er-
findungen emporsteigen. So sind in Italien die Schüler und Nachfolger
Galileis, vor allem Torricelli. (1608—1647) und Borelli (1608— 1679) tätig,
in Deutschland Otto v. Guericke (1602—1686) und nach ihm Leibniz
(1646 —1716); in Holland arbeitet Huygens (1629—1695) und in England
Boyle (1626—1691) und später Newton (1643—1726), in Frankreich
Pascal und Mariotte (1620—1684) an der Erweiterung physikalischer
Einsicht, neben denen Männer wie Riccioli, Grimaldi, Scheiner, Marci,
Snellius, Wallis, Wren, Descartes, Papin, wenn sie auch von untergeordneter
Bedeutung sind, eine würdige Stellung einnehmen, Der Drang nach Natur-
erkenntnis war so groß, daß die vom Forschungseifer beseelten Männer sich
zu besonderen Gesellschaften vereinigten, und die Fortschritte der Physik
wurden derartig, daß sie die Aufmerksamkeit der besitzenden Klassen
und der Staatsleiter erregten und diese solche Vereinigungen aufs freigebig-
ste unterstützten. So entstand 1657 in Italien die Accademia del Cimento
zu Florenz, von den Schülern Galileis gegründet und von den Mediceern
eifrig gefördert, bis sie 1667 von einem Fürsten desselben Hauses für den
Preis eines Kardinalshutes auf Verlangen des Papstes aufgelöst wurde. 1662
Pahl, Geschichte des math. und naturw. Unterrichts.
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