208 IV. Abschnitt: Das achtzehnte Jahrhundert.
Bedeutung erlangt, daß die Gymnasien eine Berücksichtigung dieser Lehr-
fächer in ihrem Unterricht nicht mehr umgehen konnten. In den Ge-
danken, die Gedike (1754—1803) und Andreas Jakob Hecker (1746 — 1819)
über das Wesen einer gelehrten Schule entwickeln, wird der Unterricht in
den Sprachen mit dem Unterricht in den ‚Wissenschaften‘ so eng ver-
bunden, daß die Mathematik als eine der wesentlichsten Faktoren des ge-
lehrten Unterrichts erscheint und auch die Physik und die beschreibenden
Naturwissenschaften nunmehr als gesicherter Bestand des Lehrplans der
Gymnasien angesehen werden können.
Behufs vollständiger Besprechung der im pädagogischen Jahrhundert
für die Gestaltung des mathematischen und naturwissenschaftlichen
Unterrichts wirksamen Kräfte ist es unerläßlich, den Universitätsbetrieb
der exakten Wissenschaften in jenem Zeitraum zu berücksichtigen. Zu
den vorhandenen Universitäten kamen im 18. Jahrhundert noch drei
hinzu: Breslau 1702, Göttingen 1734 und Erlangen 1743. Eine führende
Rolle spielten damals Halle und Göttingen, daher genügt es, vornehmlich
die bei diesen beiden Universitäten obwaltenden Verhältnisse in Betracht
zu ziehen; auch wurden die Professoren Christian Wolff (1679— 1754)
in Halle und Abraham Gotthelf Kästner (1719—1800) in Göttingen für
die mathematischen Vorlesungen auf allen deutschen Universitäten maß-
gebend. Dieselbe Bedeutung, die Wolff für die erste Hälfte des Jahr-
hunderts hatte, gewann Kästner für die zweite, und die Tätigkeit dieser
beiden Männer ist für die Entwicklung des mathematischen Unterrichts
an den Gelehrtenschulen von grundlegender Wichtigkeit geworden.
Wolff sah, dem Beispiele der beiden Sturm folgend, seine Aufgabe
als Professor der Mathematik nicht darin, ausschließlich die höhere Mathe-
matik zu pflegen, auf diesem Gebiete neue Entdeckungen zu machen und
so die Wissenschaft selbst auf eine höhere Stufe zu heben; er wollte viel-
mehr die mathematischen Wissenschaften einem möglichst weiten Kreise
zugänglich machen, um so eine breitere Basis für ihre Pflege zu gewinnen
und um vor allen Dingen die durch den Unterricht in der Mathematik
gewonnene Schärfung des Verstandes für alle anderen Wissenschaften
fruchtbar zu machen. Tief durchdrungen von der Überzeugung, daß die
mathematischen Wissenschaften jedem unentbehrlich sind, der Anspruch
auf gelehrte Bildung besitzen will, und daß allein die Art, wie die Mathematik
ihre ewigen Wahrheiten findet, auch in den andern Wissenschaften zu
sicheren Ergebnissen führen könne, richtete er einen Kreis von Vorlesungen
für die Studierenden aller Fakultäten ein, um diese in die Anfangsgründe
aller mathematischen Wissenschaften einzuführen, während er einen zweiten
Kreis für die Fachmathematiker bestimmte, um diesen die entlegeneren,
Sschwierigeren Teile ihrer Wissenschaft zu erschließen. Um seiner Vortrags-
weise auch über den Kreis seiner eigenen Zuhörer hinaus Geltung zu ver-