Full text: Geschichte des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts (1. Band)

IL. Kapitel: Unterricht im 18. Jahrhundert, 211 
Wolff sowie Kästner hielten physikalische Vorlesungen unter der Be- 
zeichnung „angewandte Mathematik“. Allein in der zweiten Hälfte des Jahr- 
hunderts finden wir schon häufig die Bezeichnung Physik oder gar Experi- 
mentalphysik. Die vielen Klagen, denen wir am Ende des Jahrhunderts 
begegnen, daß es am den Universitäten noch allzusehr an genügenden 
Mitteln fehle, um einen guten Vortrag über Experimentalphysik halten zu 
können, zeigen, wie sehr man nach einer experimentellen Vortragsweise 
trachtete. Wie kläglich es an den kleineren Universitäten Deutsch- 
lands am Ausgang des Jahrhunderts mit dem Physikvortrag bestellt 
war, davon gewinnen wir durch Nentwigs Schrift: „Die Physik an der 
Universität Helmstedt‘ eine Vorstellung. Ein physikalisches Kabinett 
gab es damals fast nirgends. Selbst Göttingen, das doch um jene Zeit 
seine Glanzperiode hatte und mit Recht als die erste deutsche Universi- 
tät galt, bekam erst nach Lichtenbergs 1799. erfolgtem Tode ein physi- 
kalisches Kabinett, für dessen Apparatesammlung die aus dem persön- 
lichen Nachlaß des Verstorbenen übernommenen den eigentlichen Kern 
bildeten. 
Ebensowenig wie für die Physik gab es für eine der beschreibenden 
Naturwissenschaften oder für die Chemie eigene Lehrstühle auf den Univer- 
sitäten. Wenn Vorlesungen über Zoologie oder Botanik oder Chemie ge- 
halten wurden, so geschah dies von Mitgliedern der medizinischen Fakultät. 
Vorlesungen über Mineralogie gab es nur an Bergakademien. . Auch die 
Erdkunde war eine noch viel zu junge Wissenschaft, als daß man schon 
daran denken konnte, für sie Lehrstühle zu errichten. Das vorher erwähnte 
Beispiel Kants, der seit 1755 Vorlesungen über allgemeine Erdkunde an 
der Universität Königsberg hielt, fand nur hier und da Nachahmung, 
wo ein Professor der philosophischen Fakultät der Geographie besonderes 
[Interesse entgegenbrachte. 
Die Pflege der Wissenschaften an den Universitäten spiegelt sich im 
Unterrichtsbetrieb der höheren Schulen wieder. Während wir bei jedem 
Gymnasium einem Mathematiker begegnen, ruht der Unterricht in der 
Physik und den beschreibenden Naturwissenschaften oft in den Händen 
von Lehrern, deren eigentliche Unterrichtsfächer die alten Sprachen oder 
die Geschichte bilden. Überhaupt befindet sich das höhere Schulwesen 
jenes Zeitraums in einem Übergangszustand, und bei dem vollständigen 
Fehlen von staatlichen Bestimmungen über Abgrenzung des Lehrzieles 
und der Lehrpensa ist es fast unmöglich, ein umfassendes, klares Bild von 
dem damals tatsächlich bestehenden Schulbetriebe der Mathematik und 
der Realien zu geben. Den nachhaltigsten Widerstand gegen eine aus- 
gedehntere Pflege dieser Disziplinen finden wir bei den Fürsten- und 
Landesschulen. Der erste Mathematikus von St. Afra, Steinbrück, und 
sein Nachfolger Klimm, der Lieblingslehrer Lessings, sowie der erste 
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