Full text: Geschichte des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts (1. Band)

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I. Kapitel: Kenntnisse der Alten. 
Inhalt seiner Elemente hinaus, die ungefähr das geometrische und stereo- 
metrische Lehrgebiet unserer höheren Schulen bis einschließlich Ober- 
sekunda umfassen. 
Während Thales noch vollständig auf dem Boden der Kenntnisse 
steht, die sich die östlichen Kulturvölker schon erworben haben, wir jeden- 
falls aus allen Nachrichten über ihn nicht den geringsten Anhalt dafür 
entnehmen können, daß seine Wissenselemente über den Wissensschatz 
der Chaldäer und Ägypter hinausgehen, sehen wir Pythagoras mit der 
Entdeckung des nach ihm benannten Lehrsatzes einen bedeutungsvollen 
selbständigen Schritt in das Reich der Erkenntnis tun. Nachdrücklich 
sei hier auch auf die Art und Weise hingewiesen, wie er zu dieser neuen 
Erkenntnis gelangte. Durch seinen Aufenthalt in Ägypten war jedenfalls 
das rechtwinklige Dreieck mit den ganzzahligen Seiten 3, 4, 5 ihm be- 
kannt geworden, vielleicht, daß er sogar noch ein oder zwei solcher recht- 
winkligen Dreiecke mehr kennen gelernt hatte. Die in einzelnen Sonder- 
fällen schon im Orient erkannte Wahrheit suchte er zu einer allgemein- 
gültigen zu erheben; indem er zunächst ihre Richtigkeit für eine weitere 
Reihe von rechtwinkligen Dreiecken mit rationalen Längenverhältnissen 
ihrer Seiten erprobte, suchte er einen allgemeingültigen Beweis zu finden, 
wobei er in erster Linie wohl von dem rechtwinklig gleichschenkligen 
Dreieck ausgegangen sein mag, da dort die Richtigkeit am leichtesten 
auffindbar ist. So leitete Pythagoras aus der Einzelkenntnis der Ägypter 
und Inder seinen allgemeinen Satz her: ex oriente lux, ex occidente lex! 
Der so gewonnene pythagoreische Lehrsatz steht aber mit den tiefsten 
Grundlagen der Geometrie wie mit den höchsten Problemen der Zahlen- 
theorie in so engem Zusammenhang, daß die geopferte Dankhekatombe 
hinsichtlich seiner wissenschaftlichen Bedeutung mehr als berechtigt er- 
scheint. 
Die von Pythagoras befolgte Methode charakterisiert sich hiernach 
als eine induktive Verallgemeinerung. Die Induktion ist ja eine echt 
griechische Methode. „Induktionsschlüsse sind die natürlichen Mittel 
echt griechischer Denkprozesse‘, und es kann gar nicht oft genug betont 
werden, daß die Induktion auch die Urmethode der Geometrie gewesen ist.“) 
Wie von selbst bietet sich nach der Entdeckung des pythagoreischen 
Satzes das Problem der Gruppen von je drei Zahlen zu finden, die die Maß- 
zahlen der Katheten und der Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreiecks 
sein können, und Pythagoras selbst hat schon eine Lösung dieses Problems, 
die durch die identische Gleichung (2a +1)?+ (2a? + 2a)? = (2a? + 2a +1)? 
dargestellt wird, in der man unter a eine ganz beliebige Zahl verstehen 
kann. a=1 gibt das den Ägyptern bekannte Dreieck mit den Seiten 
3, 4, 5 und a = 2 das den alten Indern bekannte Dreieck mit den Seiten 
5, 12, 13. Mit Vorliebe beschäftigten sich Pythagoras und seine Schüler 
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