Full text: Geschichte des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts (1. Band)

II. Kapitel: Unterricht unter dem Einfluß der staatlichen Verfügungen. 271 
die neuhumanistischen Ideen auch für die Neuordnung des Abiturienten- 
examens und für die Aufstellung eines Normallehrplanes maßgebend, die 
beide schon von Humboldt angeregt worden, aber nicht mehr zur Durch- 
führung gebracht sind. Es ist daher unerläßlich festzustellen, welche 
Anschauungen F. A. Wolf über die .Mathematik und die Naturwissen- 
schaften hat. Zunächst ist hervorzuheben, daß Wolf selbst, wie sein 
Biograph Körte, der auch Wolfs consilia scholastica herausgegeben hat, 
berichtet, „gar kein arithmetisches sowie überhaupt kein mathematisches 
Naturell hatte“, daß er zu den „für die Mathematik ganz unempfindlichen“‘ 
Köpfen gehörte. Vergeblich hat er sich bemüht, diesem Mangel abzuhelfen, 
und so entsteht in ihm das Vorurteil, daß mit der Fähigkeit für Mathematik 
stets eine Unfähigkeit für die sprachlichen Wissenschaften verbunden ist. 
Gleichwohl ist er kein Gegner des mathematischen und naturwissenschaft- 
lichen Unterrichts, wie seine consilia scholastica deutlich beweisen. Zwar 
heißt es dort an einer Stelle: „Man nenne die Mathematik eine Schule 
des Denkens, aber auch nur des Denkens, sie beuge der Zerstreuung Vor, 
aber mehrere Seelenkräfte, z. B. die Phantasie und der Geschmack, müssen 
bei ihr ganz einschlafen‘‘, und an einer andern Stelle äußert er sich nicht 
minder abfällig: „Übrigens finden sich auch bei uns Dornen genug auf 
den Wegen, die zu den Blumenfeldern führen; an diesen Dornen mag 
Geduld und beharrlicher Fleiß geübt werden und der zerstreute Sinn der 
Jugend sich sammeln lernen, oft der einzige Gewinn von Bedeutung, den 
der Jüngling aus den mathematischen Anfangsgründen für das übrige 
Leben davonträgt.‘“ Dennoch ist er einsichtsvoll und unparteiisch 
genug, den mathematischen Unterricht zu befürworten: „Die Anfangs- 
gründe der Mathematik muß jeder wohlbegriffen mit auf die Universität 
bringen; sie sind das einzige, wobei der Schüler einen Vorgeschmack des 
strengeren wissenschaftlichen Unterrichts erhalten muß.‘“ Während er 
über den Rechenunterricht sich sehr eingehend äußert, weiß er über die 
Geometrie nur wenig zu sagen und will diese in nur sehr bescheidenem 
Umfange auf dem Gymnasium betrieben wissen. Seiner Meinung nach 
reicht es aus, wenn sich der geometrische Unterricht im Gymnasium auf 
die beiden ersten Bücher des Euklid beschränke. Diese umfassen bekannt- 
lich nur die Lehre von den Dreiecken, dem Parallelogramm und dem 
Rechteck, so daß also die Kreislehre und die ganze Stereometrie nach 
Wolfs Meinung im Gymnasialpensum fehlen könnte! Für den Rechen- 
unterricht gibt er sogar methodische Vorschriften, die ihn als einen hervor- 
ragenden Pädagogen kennzeichnen und hier vollständig angeführt werden 
mögen: „Was die Arithmetik betrifft, so kann es nachteilig sein, wenn 
man sich in dieselbe zu früh einläßt. Das Kopfrechnen muß das künst- 
liche Rechnen einleiten; hierbei muß man jedoch nicht fordern, daß das 
Kind eben den Weg verfolgt, den man selbst geht, denn das Kind trifft
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.