Full text: Geschichte des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts (1. Band)

272 V. Abschnitt: Das neunzehnte Jahrhundert, 
oft den besseren Weg, und dabei kann man auf eine humane Weise und 
bequem seines eigenen Weges eingestehen. Durch das Kopfrechnen wird 
das künstliche Rechnen erst klar. Überhaupt quält man sich in der 
Arithmetik gewöhnlich mit zuviel Regeln, wobei man den Blick und 
das Gefühl und die Einsicht für das Ganze verliert, so daß man oft 
die schwersten Bruchexempel durcharbeitet, ohne nachher die leichtesten 
Aufgaben, die im Leben alle Augenblicke vorkommen, lösen zu können. 
Vom Begriffe der Worte zu den toten Zahlen ist ein sehr beschwer- 
licher Gang, wobei die junge Phantasie mit der Auffassung des Un- 
sinnlichen sich vergeblich martert. Mündlich gleich mit den Zahlen 
anfangen ist weit natürlicher und wirksamer. So lernt der Handels- 
lehrling in einem Jahre im Rechnen mehr als der gelehrte Schüler, wenn 
er sich nicht zum Mathematiker bildet, für die Anwendung in fünf bis 
sechs Jahren.“ 
Von den naturwissenschaftlichen Lehrfächern sind ihm die beschreiben- 
den Naturwissenschaften wichtiger als die Physik, ein Zeichen, welchen 
Eindruck er von dem Physikunterricht, den er als Schüler auf dem Gym- 
nasium zu Nordhausen empfangen hatte, mitnahm und wie mangelhaft 
es damals durchschnittlich noch um den Unterrichtsbetrieb in der Physik 
vestellt war. Die Kenntnis der Hauptlehren von den allgemeinsten Ge- 
setzen der Körperwelt scheint ihm ausreichend. Der Schüler könne 
dann, wenn Bedürfnis oder Neigung ihn dazu treibe, selbst zu tiefern 
Einsichten der Art gelangen. Wolf legt nämlich im naturwissenschaftlichen 
Unterricht das Hauptgewicht auf die Anschauung, und den Schulen fehlten 
damals meist noch die Mittel, den physikalischen Unterricht anschaulich 
zu gestalten. Dies war bei der Naturhistorie eher möglich. Energisch 
fordert er hier die Anlage von Naturalienkabinetten, und er fällt ein ver- 
nichtendes Urteil über die jämmerliche Methode, die Naturwissenschaften 
aus Büchern oder mit Hilfe unzulänglicher Kupfer zu lehren. „Man muß 
die Natur selbst sehen und nicht den Weg durch Bücher machen.‘“ In 
dem für die philosophische Fakultät der Universität Halle 1803 aufgestellten 
Gutachten über die Einrichtung von Gelehrtenschulen verlangt er daher 
außer Geometrie, Arithmetik und Trigonometrie besonders auch die 
„Naturhistorie, teils der sog. drei Reiche, teils auch des Menschen“, sowie 
die allgemeinen Begriffe der Physik als obligatorische Unterrichtsgegen- 
stände. Es verdient jedoch hervorgehoben zu werden, daß Wolf für die 
Gestaltung der gymnasialen Lehrverfassung von dem Grundgedanken aus- 
geht, daß das Gymnasium nur von denjenigen besucht werden soll, die 
studieren wollen: „Wer nicht Gelehrter werden will, darf nicht mit den 
alten Sprachen beschäftigt werden.‘ Alle, die nicht Gelehrte werden wollen, 
finden auf den Bürger- und Realschulen die für ihren künftigen Beruf 
nötige Vorbildung.
	        
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