Il. Kapitel: Unterricht unter dem Einfluß der staatlichen Verfügungen, 273
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Indem wir die Ansichten Wolfs als typisch für die Vertreter des Neu-
humanismus auffassen, dürfen wir nicht in Abrede stellen, daß auch der
Neuhumanismus auf die Pflege des mathematischen und naturwissenschaft-
lichen Unterrichts fördernd eingewirkt hat. Unschwer erkennt man auch
aus Wolfs neuhumanistischer Auffassung von der Aufgabe des mathe-
matischen Unterrichts, daß der Neuhumanismus für die Richtung be-
stimmend ist, in welcher dieser Unterricht sich im 19. Jahrhundert ent-
wickelt hat. Bis in das letzte Viertel des Jahrhunderts bleibt er von dem
Bestreben beherrscht, den Unterricht in der Mathematik zu einer philo-
sophischen Schulung des Geistes auszunutzen, die angewandte Mathe-
matik vollständig aus dem Schulunterricht zu entfernen, so daß die Mathe-
matik nur rein wissenschaftlich gepflegt wird und sogar aus dem Aufgaben-
material alle diejenigen ausgeschieden werden, die aus der Praxis heraus-
genommen sind.
Charakteristisch für den Neuhumanismus ist ferner, daß das Maß der
Anforderungen in der Mathematik und den Naturwissenschaften, das
seine Vertreter stellen, verhältnismäßig gering ist. Allein Wolf selbst
sieht sich schließlich gezwungen, diesen Standpunkt aufzugeben. Äußere
Umstände tragen hierzu bei: der Einfluß der französischen Revolution,
die Gründung der &cole polytechnique, die kriegerische Überlegenheit
Napoleons, die nicht zum wenigsten auf seiner besseren Artillerie be-
ruhte und so mit seiner hohen Wertschätzung der Mathematik in Verbin-
dung gebracht wurde, wirken zusammen, um namentlich die Pflege der
Mathematik besonders wichtig erscheinen zu lassen. So schreibt Scharn-
horst 1811: „Ich setze in das gründliche Studium der Mathematik einen
sehr hohen Wert, ich betrachte dasselbe als die Grundlage aller ferneren
Geistesbildung und aller anderen Kenntnisse.“ 8)
Bei dem hohen Ansehen, in welchem Scharnhorst allgemein stand,
mußten solche Worte bedeutenden Eindruck machen, und sie sind mit
die Ursache, daß Süvern und Wolf bei der Ausarbeitung der Edikte, die
den höheren Schulunterricht regeln, die Mathematik und die Naturwissen-
schaften in bedeutend ausgedehnterem Maße berücksichtigen, als man
nach den mitgeteilten Ausführungen Wolfs erwarten sollte. .
In dem bereits erwähnten Edikt über die Prüfung der Schulamts-
kandidaten wird ausdrücklich hervorgehoben, daß die schriftliche wie
die mündliche Prüfung sich auf philologische, historische und mathe-
matische Kenntnisse richten soll, doch wird das Maß dieser Anforderungen
nicht näher bestimmt. Es sei erwähnt, daß der erste, der sich einer Lehr-
amtsprüfung unterzog, kein anderer als‘ der Turnvater Jahn gewesen ist.
Diese Prüfung fand im April 1810 unter dem Vorsitz Schleiermachers
statt, also vor dem Erscheinen jenes Edikts, auf Grund einer vorläufigen
Verfügung, die Humboldt schon 1809 erlassen hatte.**)
Pahl. Geschichte des math. und naturw. Unterrichts.