Il. Kapitel: Unterricht unter dem Einfluß der staatlichen Verfügungen, 275
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Der eigentliche Verfasser der Prüfungsordnung ist Süvern, der, selbst
ain Schüler Wolfs, die Lehrziele des Gymnasiums möglichst in seinem
Sinne formuliert hat, jedoch in den exaktwissenschaftlichen Lehrfächern
bedeutend über die Anforderungen, die sein Lehrer für ausreichend hielt,
hinausgegangen ist. Wolf hat auch mit einer Kritik nicht zurückgehalten,
als er zu einer gutachtlichen Äußerung aufgefordert wurde ®°): ‚Ich bin
wie von meiner eigenen Existenz überzeugt, daß in einer Korporation
der gelehrtesten Leute äußerst wenige sind, die nach eben diesem Maß-
stabe das prachtvolle ‚Unbedingt tüchtig‘ noch im vierzigsten Jahre ver-
dienen würden, wenn ich nur so viel Griechisch und Latein, so viel Ge-
schichte (gar der mittleren Zeit!), so viel Mathematik und Physik und das
alles nebeneinander überdenke. Ich meinesteils scheide für Mathematik,
wie sie gefordert wird, zuerst davon aus. Solche aber, die alle jene Forde-
rungen zugleich erfüllen dürfen, traue ich mir in dem ziemlich volk-
reichen Berlin nicht ein völliges Dutzend aufzufinden.‘“ So tritt das Abi-
turientenexamen gleich in seiner Geburtsstunde mit einem Mangel be-
haftet ins Leben, der nach hundert Jahren noch ebenso stark auf ihm
lastet und von Anfang an zu Kompromissen und Kompensationen ge-
führt hat.
Wie weit Süvern den Unterricht in der Mathematik und den realen
Wissenschaften im Gymnasium ausgedehnt sehen wollte, beweist sein 1816
erschienener Normallehrplan. Nach ihm soll das Gymnasium, dessen
Unterrichtskursus auf zehn Jahre berechnet ist — VI bis IV einjährig,
III und IT zweijährig, I dreijährig — in jeder der zehn Klassen wöchent-
lich sechs Mathematikstunden und zwei naturwissenschaftliche Lehr-
stunden haben; der Mathematik und den Naturwissenschaften sollen also
wöchentlich 80 Stunden gewidmet werden, der Geschichte und der Erd-
kunde zusammen wöchentlich 30%
Das Lehrpensum der Mathematik geht weit über das gegenwärtige
gymnasiale Pensum hinaus und verteilt sich auf die einzelnen Klassen
wie folgt: VI und V: Rechnen mit den vier Spezies nach dem dekadischen,
auf Dezimalbrüche zu erweiternden System; Bruchrechnung; die ersten
Elemente der formalen Arithmetik, besonders Einsicht in den allgemeinen
Algorithmus der Buchstabenrechnung; Übung des angewandten Rechnens
in allen Beziehungen; Auswahl von Lehrsätzen aus den vier ersten Büchern
des Euklid. IV: Theorie der Gleichungen 1. und 2. Grades nebst nume-
rischer Auflösung; Theorie und Übung des Quadratwurzelausziehens.
Buch 5, 6, 11, 12 des Euklid nebst geometrischen Konstruktionen! III:
Anwendung der Gleichungen 2. Grades, Rechnung mit Potenzen, Sätze
und Gebrauch der Logarithmen, Potenzierung des Binoms; die Lehre
vom Flächeninhalt. geradliniger Figuren, die Raumberechnung ge0-
metrischer Körper, die Abteilung der Kreisfunktionen, die analytische
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