Full text: Geschichte des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts (1. Band)

286 V. Abschnitt: Das neunzehnte Jahrhundert. 
Dies ist der letzte Schritt zur völligen amtlichen Gleichstellung der Mathe- 
matik mit Latein und Griechisch. Freilich dauert es noch mehrere Jahr- 
zehnte, bis die im Prinzip von der obersten Schulbehörde anerkannte 
Gleichberechtigung der Mathematik mit den alten Sprachen von den 
vorwiegend humanistischen Direktoren gebührend geachtet wird. Die 
geringschätzigen Urteile der Philologen über den Wert der mathematischen 
Ausbildung des Geistes beginnen erst gegen Ende des Jahrhunderts zu 
verstummen, 
Einschneidend sind jedoch die Änderungen im naturwissenschaftlichen 
Lehrplan. In VI und V wird der Unterricht in der Naturbeschreibung 
nur da beibehalten, wo für ihn ein geeigneter Lehrer vorhanden ist; 
wenn diese fehlt, soll er durch Rechnen und Erdkunde ersetzt werden, 
In der IV kommt die Naturbeschreibung ganz in Wegfall und in der IN 
gelten dieselben Bestimmungen wie in den beiden untersten Klassen, nur 
daß die gewonnenen zwei Stunden der Geschichte und dem Französischen 
zugute kommen sollen. Wie verhängnisvoll diese Bestimmung dem Unter- 
richt in der Naturgeschichte auf den Gymnasien geworden ist, läßt sich 
daraus entnehmen, daß 1860 kaum noch auf einem Viertel aller Gym- 
nasien tatsächlich naturgeschichtlicher Unterricht erteilt wurde. 
Der Unterricht in der Physik ist auf dem Lehrplan von 1856 anscheinend 
ganz unangetastet geblieben; wie vorher hat die II eine, die I zwei Stunden 
Physik wöchentlich. In den Erläuterungen zu den einzelnen Lehrfächern 
schweigt sich das Rundschreiben über Physik gänzlich aus. Allein hin- 
sichtlich der Reifeprüfung finden wir unter den Gegenständen, über die 
sich die Prüfung erstrecken soll, die Physik nicht mit aufgezählt und 
später sogar die direkte Vorschrift: „Eine mündliche Prüfung in der Natur- 
beschreibung und in der Physik findet nicht statt.“ Somit bleibt die 
Physik wohl als obligatorisches Lehrfach in dem alten Umfang bestehen, 
ja der Abiturient erhält darin ein Zeugnis, in dem als Maßstab der Reife 
gilt, „wenn er endlich in betreff der Physik eine klare Einsicht in die Haupt- 
lehren über die allgemeinen Eigenschaften der Körper, die Gesetze des 
Gleichgewichts und der Bewegung, über Wärme, Licht, Magnetismus 
und Elektrizität gewonnen hat“, allein, wie Norrenberg in seiner Ge- 
schichte des naturwissenschaftlichen Unterrichts an den höheren Schulen 
mit Recht bedauernd hervorhebt: „Naturbeschreibung und Physik ver- 
schwanden 1856 aus der Reifeprüfung des Gymnasiums und sind seit jener 
Zeit auch nicht mehr in dieselbe aufgenommen worden.“ Damit ist aber 
dem naturwissenschaftlichen Unterricht, man möchte fast sagen hinter- 
rücks, ein Schlag versetzt worden, der seine Lebenskraft am Gymnasium 
sehr beeinträchtigt hat und von dem er auch nicht durch den Einfluß der 
Persönlichkeit, der Vortragsweise und der begeisterten Hingebung der 
tüchtigsten Fachlehrer vollständig genesen kann.
	        
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