302 V. Abschnitt: Das neunzehnte Jahrhundert. .
schon in gewissem Sinne ein Bild desselben gibt, so ist es doch unerläßlich,
dies Bild durch Mitteilungen über die tatsächliche Handhabung dieses
Unterrichts noch lebendiger zu gestalten. Wie in den früheren Zeiträumen
spiegelt sich in ihr die Pflege der Mathematik und der Naturwissenschaften
auf den Universitäten wieder. Bei diesen sind im 19. Jahrhundert drei
Neugründungen zu verzeichnen, Berlin 1810, Bonn 1818 und München
1826, allein da im Gründungsjahr der Berliner Universität von Napoleon
die Universitäten in Helmstädt und Rinteln aufgehoben werden, da die
Wittenberger Universität, die sich von den Schlägen des Siebenjährigen
Krieges nicht hatte erholen können, nachdem Wittenberg durch den
Wiener Kongreß in preußischen Besitz übergegangen ist, aufgehoben und
mit der Universität Halle vereinigt wird, da ferner die Universität in
Ingolstadt 1802 nach Landshut verlegt und 1826 mit der Münchener
Universität vereinigt wird, so ist die Zahl der Universitäten tatsächlich
im historischen Jahrhundert geringer geworden, während die Zahl der
höheren Schulen, welche die Berechtigung haben, zur Universität zu ent-
lassen, auf das Vierfache (von 93 auf 400) steigt. Allein einerseits ver-
mögen die Universitäten durch Erweiterung ihrer Einrichtungen und Er-
richtung neuer Lehrstühle dem wachsenden Zudrang gerecht zu werden,
andererseits entsteht infolge des Aufschwungs der Technik und Industrie und
der Neugestaltung des wirtschaftlichen Lebens eine neue Gattung von Hoch-
schulen technischer Art: so das Polytechnikum in Karlsruhe (1825), Dresden
(1828), in Stuttgart (1829), Hannover (1831), Braunschweig (1835), Darm-
stadt (1836), Aachen (1870), München (1868), Berlin (1879)°3), Danzig (1904).
Freilich sieht die Universitas litterarum die technische Hochschule anfangs
als minderwertig an; als lediglich der Wissenschaft, ohne Rücksicht auf
ihre praktische Verwendung, dienend, schließt sich die Universität anfangs
vornehm gegen das Polytechnikum ab, allein die Entwicklung des wirt-
schaftlichen Lebens gibt den technischen Hochschulen eine stetig wachsende
Bedeutung und steigendes Ansehen, so daß die Universitäten sich ge-
zwungen sehen, wenn sie ihre Bedeutung als Führerinnen des geistigen Lebens
Nicht einbüßen wollen, ihre Abgeschlossenheit aufzuheben, den realen
Anforderungen des Lebens näher zu treten und mit den technischen Hoch-
schulen Fühlung zu suchen. Dies tritt gerade auf mathematischem Gebiet
Ddesonders deutlich zutage. Bis weit über die Mitte des Jahrhunderts
hinaus sehen die bedeutendsten Universitätslehrer ihre Aufgabe lediglich
in der Pflege der höheren Mathematik, in der Erforschung und wissen-
schaftlich vollendeten Darstellung ihrer schwierigsten Gebiete, Um die
Pflege der Elementarmathematik kümmern sie sich nicht, und so geht
die Fühlung zwischen Universität und Schule vollständig verloren. Auch
der Mathematiklehrer an den höheren Lehranstalten fühlt sich in jener
Zeit meist nur als Diener seiner Wissenschaft und vergißt ganz, daß der